Geliebtes Heim am Berge by Lise Gast
Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-04-07T00:00:00+00:00
Verschiedene Rezepte gegen ein schweres Herz Renis Weihnachtswunsch
Reni hatte sich mit großer Mühe den Hackklotz in die Ecke hinter dem Schafsstall gerollt, dort kam fast niemand vorbei. Die Axt war leicht zu erwischen, sie hing im Geräteschuppen. Und das Holz lag aufgeschichtet auf dem Hof, in spannenlange Kloben zersägt. Sie holte sich einen Handwagen voll davon. Nun konnte es losgehen.
Es war November, kalt, aber noch kein Schnee, ein Wetter, um melancholisch zu werden. Reni stellte den ersten Kloben auf den Hackklotz und ließ die Axt darauf niederkrachen. Der Erfolg war, daß sie darin stecken blieb und nun um die Welt nicht wieder herausgehen wollte. Das war kein guter Anfang.
Schließlich bekam Reni die Axt doch wieder heraus und fing von neuem an zu hacken. Einmal traf sie so gut, daß der Kloben zu ihrem eigenen Erstaunen ganz leicht auseinanderfiel. Dadurch bekam sie gleich wieder etwas Mut. Aber oft traf sie nicht auf diese Weise. Und es waren viele Klötze da mit Ästen darin, die waren überhaupt nicht kleinzukriegen.
Einmal rutschte ihr die Axt aus und ging um ein Haar ins Bein. Zum Glück nur um ein Haar — aber dann schürfte sie mit der Hand an einem Holzstück entlang, das noch an einer Seite einen Streifen Rinde trug. Das war beinahe schlimmer als eine Hackwunde. Es tat scheußlich weh und blutete so, daß sie erst einmal mit Hacken aufhören mußte.
So setzte sie sich auf den Hackklotz, wickelte ihr Taschentuch um die blutende Hand und wartete, daß das Bluten aufhören sollte. Dabei guckte sie über den Hof, der voller Nässe und Schmutz war. Und sofort kamen ihr wieder die Tränen.
Nein, sie wollte nicht heulen. „Wenn man traurig ist, muß man etwas Tüchtiges arbeiten, arbeiten bis man schwitzt“, hatte der Doktor einmal gesagt. Aus diesem Grunde stand Reni heute hier und schuftete, wo sie doch eigentlich jetzt im warmen, gemütlichen Lernzimmer bei Erika sitzen und lesen könnte, oder schwatzen, oder Papierpuppen ausschneiden ...
Sie stand wieder auf und griff mit Todesverachtung nach der Axt. Wirklich ging es jetzt eine Weile, man lernte eben alles. Während sie die dünnen Stücke auf einen Haufen warf, der tatsächlich langsam größer wurde, suchte sie mit den Augen schon immer nach neuen, astfreien Kloben. Dabei überhörte sie, daß jemand zu ihr trat, und erschrak, als sie sich angesprochen hörte.
„Was tust du denn hier?“ fragte Frau Niethammer, die ganz zufällig hier vorbeikam. Sie war ordentlich erstarrt vor Staunen, konnte nicht begreifen, daß Reni hier Holz hackte. „Wer hat dich denn das geheißen?“
„Niemand“, sagte Reni verlegen und leckte das Blut von ihrer Hand; das Taschentuch blieb immer nicht recht darum, wenn sie hackte. „Ich hab’ nur ...“
„Aber warum stehst du dann hier in Nässe und Kälte?“
„Ach, unser Doktor sagte mal, wenn man traurig ist, müßte man was Ordentliches arbeiten, so lange, bis man schwitzt“, erklärte Reni.
Frau Niethammer guckte noch erstaunter.
„Bist du denn traurig?“
„Doch, ja — eigentlich; wenigstens etwas“, setzte sie schnell hinzu. Sie durfte natürlich nicht sagen, daß es hier nicht schön sei — und eigentlich war es ja schön, oder könnte doch schön sein .
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