Gefundenes Fressen by Hähnel Stephan

Autor:Hähnel, Stephan [Hähnel, Stephan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi/Thriller
Herausgeber: Jaron Verlag GmbH
veröffentlicht: 2014-09-18T22:00:00+00:00

Donnerstag, 12. Juni

Paul Breneckes Besuch im Testlabor hatte zu einer ersten Beschreibung des Erpressers geführt: Mann mittleren Alters, blond, höchstens 1,76 Meter, normaler Körperbau, altmodische Brille, ruhige Stimme, kein Akzent, blauer Arbeitsanzug, abgetragene Freizeitschuhe, graues Basecap. Trug die ganze Zeit Arbeitshandschuhe.

Das Phantombild war zwar künstlerisch überzeugend, verdächtigte aber, wie Bruno Biondi treffend und wenig charmant gesagt hatte, die Hälfte aller ihm bekannten Männer. Brenecke war deshalb sauer und hatte Biondi einen selbstgefälligen Ignoranten genannt.

Als sie an diesem Morgen den Beratungsraum betraten, war nicht zu übersehen, dass sie eine Auseinandersetzung gehabt hatten. Kinderkacke!, dachte Morgenstern und war froh, als der Polizeipsychologe Johannes Manthe mit seinen Ausführungen begann.

»Ich habe mich in der letzten Nacht intensiv mit unserem Tierfreund beschäftigt«, berichtete der Polizeipsychologe und legte einen Stapel Kopien auf den Tisch. Paul Brenecke reichte jeweils ein Exemplar an Hans Morgenstern, Bruno Biondi und Linda Mörike weiter.

»Schlaf wird eindeutig überbewertet«, bemerkte Morgenstern. »Und was ist das Ergebnis deiner nächtlichen Analyse?«

»Die unbekannte Person entspricht in vielen Punkten einem typischen Erpresser. Sie hat die Firmenleitung rechtzeitig über ihr Vorhaben, die Vorgehensweise und die Forderungen informiert. Um zu beweisen, dass seine Drohung ernst zu nehmen ist, hat der Tierfreund den Erpresserbriefen mehrfach manipulierte Proben des Hundefutters Welpen fit + C beigelegt. Er hat sich drei Monate Zeit gelassen und etliche Male den Kontakt zur Firma gesucht. Alle Briefe sind am Computer geschrieben und anschließend ausgedruckt worden. Genaueres lässt sich leider nicht sagen. Die Schreiben sind mehrfach kopiert worden«, stellte Manthe sachlich fest.

»Das heißt, es gibt keine typographischen Merkmale mehr, die uns als Beweis dienen könnten«, erklärte Biondi und schaute dabei Brenecke an. Der Vollständigkeit halber ergänzte er: »Eine genaue Untersuchung des Druckbildes, um den Druckertyp herauszufinden, können wir uns also sparen.«

Brenecke verdrehte die Augen. Er empfand es als Frechheit, dass der Kollege ihn belehren wollte, was Typographie sei.

Manthe ließ die Rollos herab und schaltete den Beamer an. Ein Schreiben erschien an der Wand. Obwohl alle Anwesenden den Wortlaut kannten, ließ er ihnen Zeit, sich den Text noch einmal durchzulesen.

»Das Anschreiben richtet sich direkt an die Führungsriege: Sehr geehrte Herren. Da die Firmenleitung, wie wir wissen, ausschließlich aus männlichen Führungskräften besteht, können wir davon ausgehen, dass die unbekannte Person Kenntnis über die personelle Struktur hat. Unterstützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass der Umschlag direkt an die Geschäftsführung adressiert war. Jemand, der mit dem Unternehmen persönlich verbunden war oder ist, hätte sein Anschreiben jedoch mit ziemlicher Sicherheit personenbezogen verfasst. Unser Erpresser hat aber die unpersönliche Form verwendet.«

»Verstehe ich das richtig?«, unterbrach Morgenstern die Erklärung, bemüht, seine Überlegung präzise zu formulieren. »Den Täter finden wir nicht in den Reihen aktueller oder ehemaliger Mitarbeiter der Tibur-Werke?«

»Ganz ausschließen kann ich das nicht. Ich halte es allerdings für unwahrscheinlich.«

Mit einem Laserpointer umkreiste Manthe den Betrag, den der Erpresser forderte. »Des Weiteren kann derzeit ausgeschlossen werden, dass es dem Täter nur um Rache oder Genugtuung geht. Die Forderung von drei Millionen Euro spricht für ein klares Bereicherungsmotiv.«

Eine Graphik, die über den Brief gelegt war, zeigte nun Linien und Maßzahlen. Manthe stand auf und betrachtete die Angaben.

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