Gebrauchsanweisung für Italien by Klüver Henning

Gebrauchsanweisung für Italien by Klüver Henning

Autor:Klüver, Henning
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-02-02T16:00:00+00:00


Wilder Regionalismus

Bis heute ist jedoch spürbar, dass der Süden Italiens mit Gewalt zur Einigung gezwungen wurde. Die Abstimmungen für oder gegen ein »piemontesisches« Italien fanden unter massivem Druck statt. Wer damals etwa in Neapel öffentlich dagegen auftrat, musste mit gewaltsamen Aktionen von Straßenbanden rechnen und wurde anschließend auch noch in Schutzhaft genommen.

Sicherlich war der Anschluss im Vergleich zur Bourbonenherrschaft, die den Süden in Armut, Unwissen und Rückständigkeit belassen hatte, ein Fortschritt. Aber die meisten Menschen haben ihn ebenso passiv erlebt und ertragen wie vorher die Politik der Bourbonen. Giuseppe Tomasi di Lampedusa erzählt in seinem großen Sizilienroman »Der Leopard« die Geschichte einer Epoche, in der sich alles ändern musste, damit es so blieb, wie es war – das heißt, damit die alten Kräfte in neuem Gewand an der Macht bleiben konnten. Der sizilianische Schriftsteller Andrea Camilleri, der seit Jahren mit seinen Kriminalromanen die italienischen Bestsellerlisten beherrscht, hat neben seinen Krimis wundervolle Bücher über die Probleme der Einigungsjahre geschrieben. Ohne Frage hat der Norden den Süden gleichsam kolonialistisch behandelt und gedemütigt. Dennoch sagte mir Camilleri in einem Interview, dass er »selbst unter der Folter« niemals behaupten würde, dass die italienische Einheit an sich dem Süden des Landes geschadet habe. Das Problem sei die Art und Weise, wie sich diese Einheit vollzogen habe. Und wie die regionalen Regierungen des Südens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Autonomien umgegangen seien und sie verspielt haben.

Ich habe deshalb nicht schlecht gestaunt, als ich vor ein paar Jahren eine große, unter anderem von der Region Kampanien offiziell veranstaltete Ausstellungsreihe über die Bourbonen in Neapel besuchte. Da wurde dieses heruntergekommene Herrscherhaus als aufgeklärt, volksfreundlich und fortschrittlich präsentiert. Und ich fand eine ganze Reihe von Leuten in Neapel, die scheinbar wie befreit von dem Unrecht erzählten, das mit der italienischen Einheit dem Süden angetan worden sei. In jenen Tagen tauchte eine Bourbonenhymne aus den Archiven wieder auf, die ausgerechnet von Verdi komponiert worden sein soll. Verdi ein Bourbonenanhänger? Ein Lehrer sagte, endlich könne er frei über den »Anschluss« reden, früher habe man solche Themen nur bei verschlossener Tür behandeln dürfen. Ähnliche Stimmen kann man auch in anderen süditalienischen Städten hören. Hier sind Stammtischdiskussionen gesellschaftsfähig geworden.

Ganz ähnlich übrigens verhielt es sich rund um die Lombardei mit der Lega Nord. Aus einem gleichsam »wilden« Regionalismus (»Wir Lombarden und Veneter wollen nicht länger Rom, Süditalien und die Mafia finanzieren«; »Wir Neapolitaner werden vom Norden ausgenutzt und unmündig gehalten«) wurde ein politisches Manifest, das im Fall der Lega sogar zeitweise in Regierungsprogramme einfloss, als sie mit Berlusconi die Parlamentsmehrheit in Rom bildete (siehe Seite 152). Dass dabei Fragen des Risorgimento als Katalysator wirkten, zeigt wieder einmal, dass man ohne Geschichte die Gegenwart nicht verstehen kann.



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