Gabe an die Unterwelt Zweiundzwanzig Lebensläufe by Marcel Schwob

Gabe an die Unterwelt  Zweiundzwanzig Lebensläufe by Marcel Schwob

Autor:Marcel Schwob [Schwob, Marcel]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105607985
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-12-27T16:00:00+00:00


Empedokles

Ein Mann von göttlicher Natur

Niemand weiß etwas über seine Geburt, noch wie er auf die Erde kam. Er erschien an den goldenen Ufern des Flusses Akragas, in der schönen Stadt Agrigent, ein wenig nach der Zeit, da Xerxes das Meer mit Ketten hatte züchtigen lassen. Überliefert ist allein der Name seines Stammvaters Empedokles, einer sonst unbekannten Persönlichkeit. Damit sollte wohl bezeugt werden, daß er ein Sohn seiner selbst war, wie es einem Gotte zukommt. Doch seine Jünger belehren uns: ehe der Herrliche die sizilischen Gefilde durchstreifte, hatte er bereits vier Daseinsformen in unserer Welt abgelebt: als Pflanze, als Fisch, dann als Vogel und zuletzt als ein junges Mädchen. Er war in einen Purpurmantel gehüllt, auf den sein Haar frei niederfiel; die Stirn trug er umwunden mit einem Goldreif, an den Füßen eherne Sandalen, und in seinen Händen waren wollene lange Bänder um Lorbeerzweige geschlungen.

Er legte seine Hände den Kranken auf, und sie genasen. Von einem Wagen herunter, das Haupt zum Himmel gereckt, sprach er Verse in der Art der Homerischen, mit erhabenem Tonfall. Zahlreiches Volk zog hinter ihm her und warf sich vor ihm auf die Knie, um seinen Worten zuzuhören. Unter dem reinen Himmel, der auf die Ähren herabglänzte, kamen die Menschen von überallher mit Opferlasten auf ihren Armen. Er beglückte sie, indem er ihnen vom göttlichen, kristallen gebildeten Gewölbe sang, von dem Feuerball, den wir Sonne benennen, und von der Liebe, die alles enthält gleich einer riesigen Kugel.

Ein jedes Wesen, so lehrte er, ist nur ein geringer Splitter aus diesem Himmel der Liebe, worin sich der Haß eingeschlichen hat. Und was wir Menschen Liebe nennen, ist die Sehnsucht, uns zu vereinen, uns zu verschmelzen, uns zu verbinden, so wie wir ehemals waren, ganz mit der Tiefe der rundumfassenden, von der Zwietracht zerstückten Gottheit. Empedokles beschwor in seinem Sang den Tag, wo die göttliche Kugel nach allen Umwandlungen der Einzelseelen in sich selber erfüllt sein würde. Denn die Welt, die wir kennen, ist ein Werk des Hasses, und ihre Zerstörung wird ein Werk der Liebe sein. Also sang Empedokles durch die Städte und Gefilde; seine ehernen, aus Lakonien stammenden Sandalen dröhnten an seinen Füßen, und vor ihm her erklangen die Zimbeln. Aus dem Schlunde des Ätna stieg zu gleicher Zeit eine schwarze Rauchsäule in die Höh, und sie beschattete die Insel.

In seinem Purpur und Gold glich so Empedokles einem Himmelskönig, indes die Pythagoräer in ihren bescheidenen Wollkleidern armselig einherzogen, mit Schuhzeug aus Papyrus. Er stand in dem Ruf, die Augenfäule zu heilen, Geschwülste zum Verschwinden zu bringen und die Schmerzen aus den Gliedern zu ziehn. Man flehte zu ihm auch um Vertreibung von Regen und Wirbelsturm; von einem Hügelkranz aus beschwor er die Wetter; zu Selinunt verjagte er das Fieber; er leitete zwei Ströme in ein drittes Bett; und die Bewohner von Selinunt beteten ihn an, errichteten ihm einen Tempel und prägten ihm Denkmünzen, auf denen sein Bildnis dem des Apollon gegenübergestellt war.

Andre wieder behaupten, er sei ein Wahrsager gewesen und als Zögling der persischen Magier habe er die Schwarzkunst innegehabt und das Wissen um die irrsinnwirkenden Pflanzen.



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