GERAUBTE LIEBE by Dacia Maraini
Autor:Dacia Maraini [Maraini, Dacia]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: edition fuenf
veröffentlicht: 2015-04-21T16:00:00+00:00
DIE HEIMLICHE BRAUT
Auf dem Foto sind Giusi und Rosaria zu sehen, wie sie den Brautschleier von Carmelina, ihrer jungen, hübschen Mutter tragen. Es hatte ihnen großes Vergnügen bereitet, Brautjungfern zu spielen, an jenem Maitag in der blumengeschmückten Kirche, vor einem stotternden Priester, der jedes Wort dreißigmal wiederholte. Eine Frau, die mit fünfundzwanzig den Mann verloren, daraufhin zwei Kinder erfolgreich allein großgezogen und schließlich, nach all der Mühsal, einen neuen Mann gefunden hatte, der sie liebte und sie trotz der Töchter heiraten wollte – das grenzte an ein Wunder! Ein freundlicher, gebildeter Mann, ein feinfühliger Musiker noch dazu. Was konnte man mehr verlangen?
Giorgio Politi ist groß und elegant. Er hat kastanienbraunes Haar, das ihm in die breite Stirn fällt: Ständig streift er sich mit der Hand eine Strähne, die seine Augen verdeckt, aus dem Gesicht. Sein Blick ist schüchtern, fast ein wenig ängstlich. Das helle Blaugrün seiner Augen hatte Carmelina bei der ersten Begegnung sofort bezaubert.
Seine Hände seien »ganz wunderschön«, schwärmte sie voller Genugtuung. Die Leichtigkeit und Eleganz, mit der seine langen Finger über die Tasten des Klaviers glitten, versetzten sie in Entzücken. Die hübsche, dunkelhaarige Frau aus dem tiefen Süden hätte nie gedacht, dass sich ein kultivierter Pianist mit kastanienbraunem Haar und wachen Augen, der in Mailand geboren und in Brescia in einer Priesterschule ausgebildet worden war und jetzt im Vatikan Konzerte gab, in sie verlieben könnte.
Er hatte darauf bestanden, sie zu heiraten, trotz des Unterhalts für die beiden Mädchen. Und sie hatte seinen Antrag nach einer kurzen Bedenkzeit, die sie sich mehr aus Anstand als aus anderen Gründen erbeten hatte, angenommen, überzeugt, in ihm eine tiefe Liebe hervorgerufen zu haben. Und so hatten sie die beiden Mädchen ermuntert, sich für den Tag der Hochzeit als Brautjungfern zu kleiden, genauso, wie man es aus Filmen kennt.
Für die beiden Schwestern war es ein aufregender Tag voller Überraschungen gewesen. Am Vorabend waren sie mit dem Bräutigam lange wach geblieben, und am Morgen hatte er es sich nicht nehmen lassen, ihre beiden kleinen Körper höchstpersönlich mit dem flauschigen weißen Tüll zu schmücken. Er selbst hatte die beiden Reife aus weißen Freesien geflochten, die das Haar der Mädchen hielten, hatte zwei glänzende, malvenfarbene Gürtel angefertigt, um den Tüll in der Taille zu raffen, und hatte ihnen die roten Schühchen angezogen, die unter dem weißen Stoff hervorlugten.
»Voilà!«, rief er am Ende zufrieden aus und nahm die beiden Mädchen bei den Händen, um sie der Mutter vorzuführen. »Die beiden Brautjungfern sind vollendet. Die Hochzeitszeremonie kann beginnen.«
Carmelina hatte jeder der beiden einen Kuss gegeben, bevor sie ihrerseits in ihr langes weißes Hochzeitskleid schlüpfte. Ihrem Mann hatte sie nicht gesagt, dass es das Kleid von ihrer ersten Hochzeit war. Genug Geld, um ein neues zu kaufen, war nicht vorhanden. Nicht einmal die beiden Mädchen wussten, dass dies das Kleid war, das ihre bezaubernde Mutter mit dem langen tiefschwarzen Haar, dem geschwungenen Mund und den Grübchen auf den Wangen bereits getragen hatte, als sie ihren Vater heiratete. Sie sah aus wie eine Schwester ihrer beiden Töchter.
Mit achtzehn hatte sie
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