Frevelopfer by Arnaldur Indriðason
Autor:Arnaldur Indriðason
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Lübbe Digital
veröffentlicht: 2011-07-07T22:00:00+00:00
Siebzehn
Die Suche nach dem Mann, den Petrína dabei beobachtet hatte, wie er zum Haus Nummer 18 gehetzt war, hatte wenig Erfolg gezeitigt. Petrína konnte ja nun auch nicht gerade als zuverlässige Zeugin gelten, und ihre Beschreibung des Mannes war sehr vage. Elínborg setzte sich wegen des geschienten Beins mit einer Orthopädin in Verbindung. Das, was der Mann am Bein trug, konnte auf einen normalen Beinbruch zurückzuführen sein, aber möglicherweise steckte auch etwas anderes dahinter.
Die Orthopädin hieß Hildigunnur. Sie war um die vierzig, blond und energiegeladen, eine wandelnde Reklame für eine gesunde Lebensweise. Elínborg hatte ihr bereits am Telefon in groben Zügen dargelegt, um was es ging, und die Spezialistin hatte großes Interesse an Elínborgs Recherche gezeigt.
»Und nach was für einer Orthese suchst du genau?«, fragte Hildigunnur, als sie sich gesetzt hatten.
»Das wissen wir eben nicht«, antwortete Elínborg. »Die Beschreibung ist sehr unpräzise, und die Zeugenaussage lässt leider ebenfalls ziemlich zu wünschen übrig, um die Wahrheit zu sagen.«
»Aber die Zeugin hat möglicherweise Metallschienen gesehen, nicht wahr?«
»Sie hat von irgendeiner Antenne geredet, und mir sind da gleich irgendwelche Schienen eingefallen, möglicherweise aus Metall, die um das Bein geschnallt waren. Der Mann trug eine Trainingshose, wahrscheinlich mit offenen Reißverschlüssen an den Hosenbeinen, die um die Unterschenkel flatterten.«
»Trug er orthopädische Schuhe? Hat er so gehumpelt?«
»Es könnte sein, aber wir wissen es nicht.«
»Wenn diese Person behindert ist, fällt mir als Erstes ein Klumpfuß ein. In einem solchen Fall werden spezielle Schuhbefestigungen verwendet. Ansonsten käme auch eine degenerative Krankheit infrage, vielleicht sogar Muskelschwund. Möglicherweise hat er sich aber auch einer Operation unterziehen müssen, also Arthrodese.«
Elínborg verstand den Ausdruck nicht.
»Du meinst wohl eine sehr hohe Schiene mit Schnallen um die Gelenke?«, fragte Hildigunnur und sah Elínborg an.
»Das klingt nicht schlecht.«
»Natürlich kann es sich auch um einen normalen Bruch handeln«, sagte Hildigunnur lächelnd.
»Das haben wir untersucht, und dabei ist nichts Verwertbares herausgekommen«, entgegnete Elínborg. Die Polizei hatte Krankenakten über Beinbrüche oder andere Verletzungen am Fuß überprüft, aber das hatte nichts ergeben.
»Also, wenn wir ein bisschen weiterspekulieren – Beindeformationen aufgrund von Kinderlähmung sind hierzulande ein durchaus bekanntes Phänomen. Diese Orthese trug er nur an dem einen Bein?«
»Ja, soweit wir wissen.«
»Weißt du ungefähr, wie alt dieser Mann war?«
»Nein, leider wissen wir da nichts Genaues.«
»Die letzte Kinderlähmungsepidemie hier war 1955. Im folgenden Jahr wurde dagegen geimpft, und seit 1956 sind hier praktisch keine Fälle mehr aufgetreten.«
»Der Mann ist dann also älter als fünfzig, falls es sich um Polio handeln sollte?«
»Ja. Aber man könnte auch an die sogenannte Akureyri-Krankheit denken.«
»Akureyri-Krankheit?«
»Das war ebenfalls eine ansteckende Krankheit. Gewisse Symptome hatten Ähnlichkeit mit Polio, und man geht davon aus, dass es da auch Zusammenhänge gibt. Der erste Fall wurde 1948 in der Nähe von Akureyri diagnostiziert. Wenn ich mich richtig erinnere, infizierten sich etwa sieben Prozent der Einwohner von Akureyri. Vor allem im Internat des dortigen Gymnasiums gab es zahlreiche Fälle. Ich glaube zwar nicht, dass sie irgendwelche bleibenden Behinderungen zur Folge hatten, aber da könnte ich mich irren.«
»Gibt es eine Dokumentation darüber, wer sich mit Polio infiziert hat?«
»Ganz bestimmt gibt es die. Viele wurden in die Epidemie eingeliefert, wie das Quarantänekrankenhaus in Reykjavík hieß.
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