Frank-Walter Steinmeier - Die Biografie by Torben Lütjen & Lars Geiges
Autor:Torben Lütjen & Lars Geiges
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Herder GmbH
veröffentlicht: 2017-01-24T16:00:00+00:00
Geregeltes Parteigetümmel
Überall dort, wo die SPD ihr Profil als Partei der sozialen Gerechtigkeit schärfen könnte, steht also auch schon die Kanzlerin. So bleibt der SPD die Profilierung versagt, weswegen sie in dieser Koalition keine Erleichterung findet. Man mag das für höchst ungerecht halten, da sich überzeugend argumentieren lässt, dass es in Deutschland in den Jahren der zweiten Großen Koalition von 2005 bis 2009 alles in allem recht sozialdemokratisch zuging: Doch der SPD hat es wenig genutzt und den rasanten Verlust ihrer Wähler und ihrer Mitglieder nicht aufgehalten. Die Politik ist eben ein ganz eigenes Spielfeld mit durchaus seltsamen und unberechenbaren Regeln, in der die Erfolgskriterien gar nicht exakt zu benennen sind. Am besten beschreibt die Realität vielleicht, was der Soziologe Rainer Paris als das »geregelte Getümmel« der Politik bezeichnet: Ein riesiges Spielfeld, auf dem verschiedene Mannschaften in unterschiedlicher Größe und Stärke bunt gegeneinander antreten und sich auch nach dem Anpfiff über die Aufstellung und Hackordnung innerhalb der eigenen Mannschaft zanken. »Es stehen auch Tore herum, in die die verschiedenen Mannschaften hin und wieder hineintreffen, doch die Anzahl der Tore entscheidet nicht über den Ausgang des Spiels. Wer am Ende tatsächlich gewonnen oder verloren hat, darüber befinden nach Spielschluss die vielen Zehntausende von Zuschauern, die natürlich die ganze Zeit über alles andere als neutral sind, im gewaltigen Stadionrund per Abstimmungsvotum und Akklamation.«
In der SPD schießt man allerdings, nachdem man mit Kurt Beck zunächst gut ins Spiel gefunden hat, bald schon bevorzugt in das eigene Tor – was die Zuschauer nicht besonders goutieren. Das ist nicht allein Becks Schuld, aber er trägt seinen Teil dazu bei. Er bemüht sich zwar, so häufig wie möglich in Berlin zu sein, aber natürlich bleibt seine mangelnde Präsenz ein Problem. Und sie wird es vor allem deswegen, weil er es versäumt oder für unnötig befunden hat, seine eigenen Leute in der Parteizentrale zu platzieren. Beck hält stattdessen an den Leuten fest, die Franz Müntefering oder Matthias Platzeck im Willy-Brandt-Haus installiert haben. Das zeugt zwar von Vertrauen, ist aber auch naiv. Die Parteizentrale in Berlin ist nicht die rheinland-pfälzische SPD, die er aus seiner Mainzer Staatskanzlei heraus dirigiert. Im Willy-Brandt-Haus sitzen rund 140 Mitarbeiter, nicht wenige reden regelmäßig mit Journalisten. Sie haben ganz unterschiedliche Loyalitäten, sind die Diener vieler Herren. Nicht einmal für die eminent wichtige Position des Büroleiters hat Beck es für nötig befunden, einen Mann seines eigenen Vertrauens auszuwählen. Und so läuft ihm schon bald vieles aus dem Ruder, ist die Abstimmung und Koordination zwischen den Führungsfiguren der SPD denkbar schlecht, die Kakofonie groß. Das gilt vor allem für das Verhältnis zwischen Beck und dem Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering, der glaubt, dass seinem Nachfolger so ziemlich alles abgeht, was man braucht, um eine große Partei zu führen. Beck und Müntefering mögen sich nicht, und sie reden auch nicht sehr viel miteinander. Bei einer entscheidenden Frage setzt sich Beck allerdings tatsächlich gegen den Vorgänger durch: Auf dem Hamburger Parteitag im Oktober 2007 gewinnt er die Mehrheit der Delegierten dafür, das Arbeitslosengeld I zu verlängern – gegen die ausdrückliche Empfehlung des zuständigen Ressortchefs Müntefering.
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