Fräulein Stinnes und die Reise um die Welt by Jansen Lina

Fräulein Stinnes und die Reise um die Welt by Jansen Lina

Autor:Jansen, Lina [Jansen, Lina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet Verlag
veröffentlicht: 2022-05-09T00:00:00+00:00


Bolivianisches Hochland

November 1928

Clärenore ritt in einen beschatteten Innenhof ein, als ein rotbrauner Gordon Setter bellend auf sie zulief. Für einen Moment glaubte sie, einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen zu sein. Wie konnte es sein, dass Lord hier war? Doch im selben Augenblick trat Hauptmann Galvez mit einem weiteren Mann aus dem Haus. Der Fremde pfiff seinen Hund zurück. Sofort kehrte das Tier um und lief zu seinem Besitzer, der ihm lobend über den Kopf strich.

»Was für eine Freude, Sie lebend zu sehen!«, rief der Hauptmann. Der peruanische Militär hatte sie von Lima aus begleitet. Er war für die topographischen Vorarbeiten eines Straßenbaus verantwortlich. Über die Dringlichkeit eines befahrbaren Weges über die Anden konnte Clärenore ein Lied singen. Sie schwang sich vom Esel, trat auf den Hauptmann zu und schüttelte ihm herzlich die Hand.

»Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen.« Ihre Wege hatten sich bei einem Lager für Straßenarbeiter getrennt, erst danach war für Clärenore und Carl-Axel alles aus dem Ruder gelaufen. »Wie kommen Sie hierher?«

»Don Miguel steht im ständigen Kontakt mit den Bauingenieuren des Straßenbauprojekts und hat mich freundlicherweise informiert. Er wusste, dass wir bis vor Kurzem gemeinsam gereist sind. Als ich hörte, dass Sie und Herr Söderström in Not geraten sind, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Ihr Automobil ist übrigens in einem erbärmlichen Zustand.«

»Ich weiß«, sagte Clärenore. »Wie geht es Herrn Söderström? Kann ich zu ihm?«

Ein Schatten legte sich über Hauptmann Galvez’ Gesicht. »Herr Söderström ist am Leben. Viel mehr Erfreuliches kann ich Ihnen leider nicht berichten.«

»Ich muss ihn sehen«, drängte Clärenore.

Der Mann neben dem Hauptmann streckte ihr die Hand entgegen: »Mein Name ist Don Miguel. Ich freue mich, Sie in meinem Haus begrüßen zu dürfen.« Mit stolzgeschwellter Brust stand er da und zeigte auf die Gartenanlage, die sich rund um das Gebäude erstreckte. Eine grüne Oase nach Wochen in der staubigen Steinwüste.

»Sehr erfreut.« Sie schüttelte seine Hand. »Darf ich zu Herrn Söderström?«

»Nur, wenn Sie mir versprechen, anschließend mit mir und meiner Frau auf der Terrasse Kaffee zu trinken.«

Clärenore nickte, auch wenn ihr im Moment der Sinn nicht nach Smalltalk stand.

Hauptmann Galvez führte sie ins Haus. Innerhalb der dicken Steinmauern war es angenehm kühl. Ein leichter Zitronenduft lag in der Luft, begleitet von einem Geruch nach getrockneten Kräutern. Durch eine breite Eingangshalle gelangten sie in einen weiteren Innenhof, der Clärenore an ein Kloster erinnerte. In den vor Wind und Sonne geschützten Arkadengängen luden hölzerne Bänke zum Verweilen ein. Sie wünschte, Carl-Axel würde auf einer von ihnen sitzen und den üppig begrünten Innenhof genießen.

Stattdessen lief Galvez weiter. »Ich war sehr besorgt, als Don Miguel mir von Herrn Söderström erzählt hat«, sagte er. »Sie hätten den Weg niemals allein antreten dürfen.«

Das wusste Clärenore jetzt auch, aber für diese Einsicht war es zu spät.

Sie betraten einen niedrigen Seitentrakt und gelangten in einen abgedunkelten Raum, in dem sich neben einem Krankenbett nur eine Holztruhe und ein Schemel befanden. An der weiß gestrichenen Wand hing ein großes Kruzifix mit einem sterbenden Jesus. Galvez bekreuzigte sich beim Anblick der Skulptur. Clärenore zeigte weniger Respekt.



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