Fortunat. Teil I by Otto Flake

Fortunat. Teil I by Otto Flake

Autor:Otto Flake [Flake, Otto]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105602454
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-06-04T16:00:00+00:00


76

»Zehn Schleier sind um Sie heute«, sagte er am Mittag im Comptoir. War es eine schlechte Stunde, um seine Sache zu führen, oder eine gute? Er vertraute auf die gute und warb. Er tat es sanft, nicht ohne Schwermut, wie ein junger Hirt, dem vor Sehnsucht nach der fliehenden Nymphe die Flöte verstummt. Es erregte sie, ihn so verändert zu sehn, und er sagte, wenn sie ihn zurückweise, werde er der Unordnung verfallen, der Zuchtlosigkeit des Orients. Kaum hatte er es ausgesprochen, so verbesserte er sich – es solle nicht gelten, sei nur ein falsches, sentimentales Argument.

Benommen sah sie, wie er Schritt um Schritt sein Selbst zurückgewann. Man dürfe sich nicht in das Herz einer Frau schleichen, indem man ihr versichere, sie sei die Erlöserin. Erlösen könne den Menschen nur, wer über seinen Nöten stehe.

»Die Not der Frau ist die gleiche wie die des Mannes, daher sie nur Partner sein können, wenn sie ehrlich sind«, erklärte er.

Er schien ihr Luzifer zu gleichen, der Gott vorwirft, er habe seine Geschöpfe zum Erdenlos verdammt und erwarte trotzdem, daß sie ihn für seine Güte preisen. Sie wußte nicht, ob er ihr fremd war oder der, dem sie ins Dunkle folgen wolle. Sie suchte in seinen Zügen nach dem geheimen Makel, der sie erschrecken könne, und fand den Zauber, den der Geist verleiht.

Er spürte, daß sie sich gewinnen lasse, und das Triumphgefühl war nicht die stärkste unter den Regungen dieses Augenblicks. Er hielt sie für eine der schönsten Frauen, denen man begegnen konnte, und es rührte ihn, daß sie selbst es nicht zu wissen schien. Von ihrer Empfindungskraft hatte er eine ebenso hohe Meinung wie von ihrem noch nicht geweckten Temperament.

Sie saß auf einem Boudoirmöbel aus den Tagen Bonapartes, er stand davor, und Schweigen war, als stellten sie ein Bild, wie man es in den Panoramen sah. Das Erstarrte wurde ihnen zur selben Zeit bewußt, sie schaute auf, er lächelte, der Bann zerbrach. Jacques sank aufs Knie und umfing sie, bis alles, was sich noch fremd war, den neuen Rhythmus fand, die Lippen und das wild pochende Herz.

Nur ihre Flechten sanken noch tiefer in den Nacken, er ordnete sie wie in der Gasse des Bazars, und da seine Hand beim Liebkosen war, umglitt sie mit leisen Strichen den spitzen Kelch der Brust, der sich mit Feuertropfen füllte, das Niegefühlte kam über sie.

Alexandra wußte nicht, wie sie am Nachmittag die Arbeit erledigte, und ging durch die Stunden gleich einer Nachtwandlerin. Sie sprach der Oberin, da Jacques es verlangt hatte, die Kündigung zum Dezember aus. Weshalb, wurde sie unwillig gefragt und schaute verwundert auf – sie heiratete Jacques, und weil Jacques am ersten Januar seine Praxis begann, so brauchten sie den Dezember für sich.

Die Oberin erklärte, sie müsse mit Jacques persönlich reden, und bestellte ihn zum Abend. War es unumgänglich, daß er dem Haus eine so angenehme Gehilfin entzog? Er sei tagsüber beschäftigt, der Haushalt fülle die Stunden einer Frau nicht aus, wenigstens nicht so lange, als noch die Kinder fehlten, sagte sie und war bereit, auf die neuen Umstände Rücksicht zu nehmen, durch Herabsetzung von Alexandras Arbeitszeit.



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