Flüchtlingskinder - gestern und heute by Hopf Hans
Autor:Hopf, Hans [Hopf, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch, Psychologie, Gesellschaft, Integration, Asylsuchende, Vertreibung, Flucht, Nachkriegszeit, Gegenwart
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2016-12-01T23:00:00+00:00
Die quälenden Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung
Mittlerweile wird vieles als Trauma bezeichnet, was keineswegs den wissenschaftlichen Kriterien entspricht. Kennzeichnend muss immer eine Bedrohung von katastrophalem Ausmaß sein, verbunden mit Hilflosigkeit und Todesangst. Traumata wirken überwiegend nicht direkt, sondern durch die Reaktionen, die sie hervorrufen. Sie nisten sich in eine vorhandene Struktur ein, um scheinbar hilfreich zu sein. In Wirklichkeit führen sie in fataler Weise zur Vermeidung neuer positiver Erfahrungen und zur Blockierung eines förderlichen Entwicklungsprozesses. Darum ist immer entscheidend, in welche vorhandene Struktur sich ein Trauma festsetzt, weil es ganz unterschiedlich verarbeitet werden kann.
Depressive Störungen sind typische und die häufigsten Folgen von Traumatisierungen. Von Beginn meiner Kindheit bis ins Jugendlichenalter war ich ununterbrochen traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Vor allem war nicht vorauszusehen, was noch kommen würde, ich lebte in ständigen Spannungen. Als ich etwa acht Jahre alt war, krochen die ersten Ängste und depressive Verstimmungen heran. Oft spürte ich morgens dunkle Gefühle. Mir begann es vor dem Tag und vor dem Leben zu grausen. Ich hatte bis dahin immer gern und auch viel gegessen. Mit einem Mal hatte ich keinen Appetit mehr, aß aber, um nicht aufzufallen. Überhaupt wollte ich niemandem davon erzählen. Ich hatte von Anfang an Angst, ausgelacht zu werden und fürchtete, womöglich als verrückt zu gelten und in die psychiatrische Klinik »Sankt Getreu« in Bamberg zu kommen, wie bereits einige meiner Klassenkameraden. Einen habe ich dort besucht. Er hatte mir schon im Lager erzählt, er fühle sich immer so komisch, habe oft Ängste und wisse nicht warum. Bei meinem Besuch erzählte er mir, es sei festgestellt worden, dass er nervenkrank sei. Mir ist bei seinen Erzählungen blitzartig körperlich schlecht geworden, beinahe hätte ich erbrochen, denn ich hatte ja die gleichen Störungen wie er. Von da an begleitete mich eine panische Angst vor dem »verrückt sein«, bis zu meiner ersten Psychotherapie. Vielleicht war das die schlimmste aller Ängste. Mein Verleugnen ging sogar so weit, dass ich den Eltern Fröhlichkeit und Appetit regelrecht vorspielte. Oft rannte ich jauchzend und lachend die letzten Meter zur Baracke und riss die Tür fröhlich auf, obwohl mir eher traurig zumute war. Ich wollte vor allem nicht, dass sich jemand um mich sorgte. Einmal habe ich es gewagt zu bekennen, dass ich nicht schlafen könne. Eine Erwachsene wies mich zurecht und sagte, als sie so alt wie ich gewesen sei, da habe sie aber schlafen können. Was die Kinder heute alles hätten! Von da an habe ich endgültig über meine Leiden geschwiegen.
Ängste generalisieren, sie weiten sich im Lauf der Zeit auf alle Bereiche aus. In rascher Folge kamen Höhenängste, Ängste vor Gewittern, Ängste vor Dunkelheit, Ängste eingeschlossen zu sein, hinzu. Diese Ängste sind ein phylogenetisches Erbe unserer Vorzeit. Von einem stabilen, gesunden Ich können sie in Schach gehalten werden. Werden aber die Fähigkeiten von Ich und Selbst zerstört, wie das bei mir damals geschehen war, so verschaffen sich alle Ängste Raum. Während meiner Tätigkeit als therapeutischer Leiter eines psychotherapeutischen Kinderheims hat mich immer die Fülle von archaischen Ängsten bei den traumatisierten Kindern beeindruckt. Sie hatten keine schützenden Objekte verinnerlicht und waren ihren Ängsten hilflos ausgeliefert.
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