Filmgenres: Musical- und Tanzfilm by Dorothee Ott und Thomas Koebner

Autor:Dorothee Ott und Thomas Koebner
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783159606675
Herausgeber: Reclam
veröffentlicht: 2014-10-13T16:00:00+00:00

Tommy

Tommy

GB 1975 f 110 min

R: Ken Russell

B: Ken Russell, Pete Townsend nach der gleichnamigen Rockoper von Pete Townsend und der Rockband »The Who«

K: Dick Bush, Ronnie Taylor, Robin Lehmann

M: Pete Townshend und »The Who«

Ch: Gillian Gregory

D: Roger Daltrey (Tommy Walker), Oliver Reed (Frank Hobbs), Ann-Margret (Nora Walker), Elton John (Local Lad), Eric Clapton (Priester), Tina Turner (Acid Queen)

Tommy entwirft die innere Welt des Jungen und jungen Mannes Tommy Walker, der durch einen Schock in der Kindheit blind und taub wird: Der aus dem Krieg heimgekehrte Vater wird von Frank Hobbs, dem Geliebten der Mutter, ermordet, dem Kind Tommy wird eingeschärft: »Du hast weder etwas gesehen noch etwas gehört und wirst nichts sagen!« Tommy wird von da an in einer isolierten Welt leben, Cousin und Onkel quälen ihn, der Doktor und die Acid Queen nutzen ihn für magische Experimente. Auf unerklärliche Weise wird Tommy zum Flipperstar, besiegt den amtierenden Meister. Schließlich kann er durch das Zerbrechen seines Spiegelbildes aus der inneren Isolation befreit und geheilt werden. Aufgrund dieser »Wunderheilung« wird er von den Massen verehrt wie ein Messias. Als Tommy jedoch der Erwartung seiner Fans nicht entsprechen will – er widersetzt sich der Kommerzialisierung seiner Botschaft –, lassen sie ihn fallen.

Tommy basiert auf dem 1969 erschienenen Konzeptalbum der britischen Popgruppe »The Who«. Die erste Rockoper der Gruppe gilt als der Höhepunkt ihres und insbesondere Pete Townsends Schaffens, der fast alle Titel des Albums komponierte. Der britische Regisseur Ken Russel verfilmte die Geschichte schließlich 1975. Sein Musicalfilm ist wie das Album durchkomponiert und ohne Dialogzeilen. Alle Figuren außer der allwissenden Erzählerstimme von Pete Townsend, die das Geschehen kommentiert, artikulieren sich über erzählenden Gesang im Bild und treiben dadurch die Handlung schnell voran.

Die anscheinend recht strikten Vorschriften der britischen Lebensart scheinen sowohl das Free Cinema Ende der 1950er Jahre als auch englische Filmkünstler wie Ken Russell Ende der 1960er Jahre im Zeichen der Popkultur zu einer Normverletzung herausgefordert zu haben, die energischer und krasser ausfiel als in den meisten anderen europäischen Ländern. Die Filme Russells brechen mit der Tradition biografischen Erzählens und inszenieren Musik und Musikkultur in einer wilden Collage, in der verschiedenes Material zusammengebracht wird.

Gemeinsam mit Jesus Christ Superstar und Hair ist Tommy einer der ersten Musicalfilme, die ästhetische Mittel des Popclips zur Inszenierung der Songs verwenden. Ken Russel führt die von Richard Lester im Beatles-Film A Hard Day’s Night entwickelte Clip-Ästhetik in Tommy weiter. Die Montage verwebt dort während einer kontinuierlichen Musiknummer verschiedene Raum- und Zeitebenen, die Bild-Ton-Scheren erzeugen dadurch assoziative Bedeutungsebenen. Eingeschnittene Animationselemente wie abstürzende Flugzeuge und Kreuze wirken verfremdend. Auch unterstützen schnelle Schnitte den Clipcharakter. So ist die ca. drei Minuten lange »Pinball Wizard«-Sequenz, in der Popstar Elton John als Pinball Wizard von Tommy im Flippern besiegt wird, mit fast 150 Schnitten die komplexeste Montage des ganzen Films. Genau in der Mitte plaziert, ist sie sowohl stilistisch als auch technisch der Höhepunkt des Films. Gleichzeitig verweist die Entwicklung von einem anfangs eher ruhig montierten Film zu dieser schnellen und komplexen Szene auf die bis in die Hysterie gesteigerte Verehrung Tommys. Tommy reflektiert die Phänomene der Massen- und Popkultur und damit wiederum sich selbst.

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