Film als Wissensform by Peter Remmers
Autor:Peter Remmers
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2018-04-15T00:00:00+00:00
4.3 Dynamische Aspekte der filmischen Präsentation
Nicht nur die zeitlichen Eigenschaften der Filmobjekte markieren eine epistemologische Differenz zu statischen Bildern. Darüber hinaus führt auch die Dynamisierung des Bildaspekts im Film zu einer komplexen Erweiterung des Wahrnehmungsfeldes. In Kapitel 2.1 habe ich bereits erläutert, dass eine bildliche Präsentation eines Objekts immer auch Eigenschaften aufweist, die nicht dem präsentierten Objekt zuzuschreiben sind. Man kann in diesem Zusammenhang von den Darstellungseigenschaften, von der ‚Gegebenheitsweise‘ der Bildobjekte oder von dem Aspekt des Bildes sprechen. Ein geläufiges Beispiel für einen Bildaspekt ist die Perspektive, aus der ein Objekt in einem Bild präsentiert wird. Die Perspektive ist keine Eigenschaft des Objekts selbst, sondern vielmehr eine Eigenschaft der Darstellung des Objekts, oder, wie man in Bezug auf den Film sagt: der Einstellung. Jede bildliche Präsentation von Objekten erfolgt notwendig unter einem derartigen Aspekt: Die Möglichkeiten für die Wahl einer Einstellung mögen nahezu unbegrenzt sein – es ist aber unmöglich, ein Objekt in einem Bild ohne Einstellung darzustellen. Es geht also in Bildern grundsätzlich nicht nur um die Bestimmung dessen, was präsentiert oder dargestellt wird, sondern besonders auch darum, wie bzw. unter welchem Aspekt Objekte präsentiert und Sachverhalte dargestellt sind.123
Klassische filmische Mittel, mit denen Bildaspekte konstituiert werden, sind Kamerabewegung, Schnitt, Einstellung und Farbgebung. Die Bewegung der Kamera kann beispielsweise Bewegungen präsentieren, die nicht den Bildobjekten, sondern vielmehr dem Modus der Bildpräsentation zuzuschreiben sind. Nicht nur das Filmobjekt wird somit dynamisch, sondern auch die Beziehung zwischen bildlicher Präsentation und dem bildlich Präsentierten, wodurch auch die Beziehung der Zuschauerinnen zum Filmobjekt in vielerlei Hinsicht komplexer wird.
Es können allgemein drei epistemologisch relevante Arten unterschieden werden, in denen der Bildaspekt auftritt und die im Film jeweils mit spezifischen Konsequenzen umgesetzt werden: 1. Transparenz, 2. deutlich wahrnehmbare Mitbestimmung des Filmobjektes und 3. Objektivierung einer Präsentations- und Darstellungsweise.
1. Wenn das präsentierte Objekt so im Vordergrund der bildlichen Präsentation steht, dass der Aspekt, unter dem es präsentiert wird, gar nicht eigens auffällt, ist der Bildaspekt transparent. In diesem Szenario geht es hauptsächlich darum, das Objekt so darzustellen, dass dessen relevante Eigenschaften problemlos und flüssig wahrgenommen werden. Das Ziel dieser Darstellungsweise besteht in einer möglichst klaren und einfachen Präsentation des Filmobjekts, so dass beispielsweise bestimmte Sachverhalte unmittelbar und eindeutig erkannt werden.124
Der transparente Bildaspekt ist paradigmatisch für das klassische Hollywood-Kino. Die Transparenz täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Art und Weise der bildlichen Präsentation immer auch den Sinn des Bild- und Filmobjekts mitbestimmt. So wird beispielsweise die Wahl der Einstellung nur selten als solche hervorgehoben; dennoch bestimmt sie sehr effektiv, was der Zuschauer mit dem Filmobjekt verbindet. Der Zuschauer ist sich dieser Wirkung der Einstellung normalerweise nicht bewusst. Rudolf Arnheim beschreibt zur Veranschaulichung dieses Punkts eine Szene aus einem Film von Charles Chaplin, in der der Protagonist von hinten gefilmt wird, wie er über die Reling eines Schiffes gebeugt ist. Die Szene suggeriert Seekrankheit; tatsächlich sieht man aber in der nächsten Einstellung, dass der Protagonist nur seine Angelschnur eingeholt hat: „Der Grundgedanke einer solchen Filmszene lautet nicht mehr: ein Mann tut dies und das, z. B. er angelt
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