Feldpostnummer unbekannt by Berthold Will
Autor:Berthold Will [Will, Berthold]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-01-26T05:00:00+00:00
Marion Kleebach, das Nesthäkchen der Familie, hob den Kopf von ihrer Schreibmaschine und sah sehnsüchtig durch die verschmutzte Scheibe des trostlosen Kommandanturgebäudes in Berlin.
Draußen lockte der Frühsommer, schien die Sonne, spielten lärmende Kinder und gingen die Pärchen Arm in Arm. Aber sie saß Tag für Tag an diesem Tisch und addierte Wehrmachtssocken, Fußlappen und Kunsthonig.
»Machst du schon wieder Überstunden?« fragte Erika ihre Zimmerkollegin spöttisch.
»Was denn sonst?«
»Deine Schuld …«
»Wieso?«
»Brauchst doch nur einmal mit Hauptmann Schneider auszugehen …«
»Mit dem schon gar nicht«, antwortete Marion gallig. Sie war die jüngste und hübscheste der Stabshelferinnen. Sie war reifer geworden und kindlich geblieben, und sie galt als unnahbar. Aber sie lag im Hader mit der Welt, sie haderte nicht mit Heinz Böckelmann, des gefallenen Bruders bestem Freund, mit dem sie verlobt war und den sie ein Jahr lang nicht gesehen hatte, sondern mit der Zeit, die ihn von ihr fernhielt. Seit dem letzten Urlaub lebten ihre Gefühle nur auf dem Papier der Feldpostbriefe, die regelmäßig hin- und hergingen. Sie mochte Heinz noch immer, aber die lange Zeit schob ihn zwangsläufig immer mehr in den Hintergrund – und da saß sie nun mißmutig in diesem widerwärtigen Ziegelsteingebäude, und verrichtete noch für andere Stabshelferinnen, die sich mit den Offizieren besser standen, die Arbeit mit.
»Zigarette?« fragte Erika.
»Danke«, erwiderte Marion.
Auch Erika war mit einem Gefreiten verlobt, aber das hielt sie von den anderen kaum ab. Sie war nicht viel älter als Marion, aber sie hatte ein williges Lächeln und einen wissenden Mund- und das Ehrenkleid der Nation, die Uniform, zog sie in der maßgeschneiderten Version vor.
»Dieses Leben ist schlimm genug«, sagte Erika, »du brauchst es nicht noch künstlich langweilig zu machen.«
»Meine Sache.«
»Wirst doch schon bald neunzehn … und bist doch keine Nonne, oder?«
»Ich bin, was ich bin.«
»Aber man darf sich doch mal ein Vergnügen machen.«
»Auf eure Vergnügungen pfeif ich«, antwortete Marion überzeugt.
Es hatte ihr nicht an Angeboten gefehlt. Aber bei ihrer Dienststelle war die Gefahr der Gewöhnung größer, als die der Versuchung. Die Offiziere, meistens Reserve, konnten durch ihre schwadronierende Draufgängerei nicht verbergen, daß sie verheiratete Familienväter waren. Sie betrogen ihre Frauen mit den Mädchen, von denen sie wiederum betrogen wurden, so sich die Gelegenheit ergab … und der Krieg, den sie an der Heimatfront vorzogen, war ihre einzige Ausrede des Lotterlebens, nach der Devise: Wenn die einen schon sterben müssen, sollen die anderen wenigstens leben …
»Nur tanzen möchte ich wieder einmal …«, sagte Marion.
Erika sah einem Rauchring nach. »Dann komm doch heute Abend mit«, lockte sie.
»Wohin?«
»Große Villa … schicke Männer … alles zu trinken und zu essen, was du nur wünschst … ist das gar nichts?«
»Und was kommt dann?« fragte Marion.
»Nichts«, erwiderte Erika, »nichts, was du nicht willst … du bist und bleibst eine dumme Gans … das verpflichtet doch zu nichts.«
Marion schüttelte den Kopf. Sie wollte nichts erleben. Sie wollte zu Heinz stehen. Nur ab und zu mal ausgehen, ein kleines bißchen flirten, einmal tanzen: dagegen hätte Heinz Böckelmann sicher auch nichts.
Erika betrachtete sie von der Seite.
»Und da wird wirklich noch getanzt?« fragte Marion zögernd.
»Und ob … heiße Musik, die du nicht alle Tage zu hören kriegst.
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