Fackeln des Teufels by Georg Brun

Fackeln des Teufels by Georg Brun

Autor:Georg Brun [Brun, Georg]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-12-08T05:00:00+00:00


Nach einigen Tagen zeigte ich mich in gestärkter Verfassung und als Herr meines Geistes. Bei gehöriger Anstrengung des Willens konnte ich bereits ein gutes Wegstück zurücklegen, wenn auch unter Nachziehen des linken Beines, das immer noch taub und bewegungsfaul war. Ein sonnendurchfluteter Herbst lockte mich aus dem mächtigen Steinhaus derer von Soglio, die mich mit ihrer Gastfreundschaft auf eine zurückhaltend ehrfürchtige Weise bedachten, welche die Andacht und Meditation wie in einem Kloster ermöglichte und es trotzdem an nichts fehlen ließ.

In stummer Weisheit standen die Kastanienbäume als runde Hünen auf der Wiese und grüßten einander von Ferne. In das vergehende Grün schoß Gelb ein, und an manchen Blattspitzen flammte ein Rotrand auf, manchmal in kleinen Sprenkeln wie von Schwerterrost. Die Frauen von Soglio und ein Teil der Knechte sammelten sich auf den Wiesen der Senken und klaubten aus abfallendem Laub die Kastanien oder holten die großen Stücke vom Baum. Sorgsam brachen sie die Stachelschale und gaben selbst kleinste Maronen liebevoll in die Körbe. Blatt für Blatt wurde auf dem Boden gewendet, damit ihnen keine Frucht entgehe, denn in harten Wintern, wenn der Malo ja unpassierbar und die Schlucht auf Chiavenna äußerst beschwerlich wurde, blieb vielfach nichts außer Maronenbrei zum Essen, vielleicht ein Hase dazu bei den Soglios, kaum aber beim einfachen Volk.

Ich saß am Rande und beobachtete das Erntetreiben, als Theodora sich mir zugesellte.

»Die Maronen sind das Gold des Bergell«, sprach sie leichthin, »wir entbieten jeder Respekt. Gottes Weisheit muß unendlich sein, daß er uns so vor dem Hunger schützt. Wir sind voll der Dankbarkeit.«

»Ich habe solches noch nie gesehen.«

»Wißt Ihr, daß ich nie aus dem Umkreis von Soglio hinausgekommen bin? Ich höre nur die Geschichten der Pilger und Reisenden, die von wunderlichen Dingen berichten in der Welt, aus der Ihr kommt. Seid Ihr schon weit gereist?«

»O ja, aber weit weniger als die meisten großen Pilger. Selbst Santiago habe ich noch nicht gesehen.«

»Selbst Chiavenna werde ich nie schauen«, entgegnete Theodora leise. »Es tut mir der Seele keinen Abbruch hierzubleiben. Dort oben der Berg, seht Ihr? Wir nennen ihn Badile, ich weiß auch nicht, warum. Er glänzt morgens und abends. Er ist ein Glaubenslichtlein. Der Herrgott hat es angezündet, ganz für uns. Das genügt.«

Sie schwieg eine Weile, zupfte einen Grashalm und zerknipste ihn mit den Nägeln zu vielen kleinen Stücken.

»Ist es wahr, daß meine Augen wie Tauben sind?« fragte sie schließlich.

Ein inwendiges Körperbrennen schoß mir aus der Brust über den Hals in den Kopf hinauf, wie das Bier aufschäumt in einem Humpen, in den hinein man aus dem geschüttelten Banzen zapft. Starr blickte ich in ihre arglos offenen Augen. Mein Hals war zugeschnürt. Doch sie erwartete wohl keine Antwort, sondern sprach ruhig weiter:

»Ich mag Tauben. Sie kehren immer zurück. – Augen sind das Licht und die Kraft, sie sind von Gott für Gott. Jeden Morgen soll das Augenlicht zurückkehren. – Ich mag Tauben.«

Sie erhob sich und legte dabei die Fingerspitzen von Zeige- und Mittelfinger auf meine Schulter.

»Der Saft der Ringelblume wird Eure Lähmung vertreiben bis zum nächsten Vollmond. Fürchtet Euch nicht, Ihr seid mit Gott, und ich bin keine Zauberin.



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