Etwas bleibt by Barth-Grözinger Inge

Etwas bleibt by Barth-Grözinger Inge

Autor:Barth-Grözinger, Inge
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492950282
Herausgeber: Piper Verlag GmbH
veröffentlicht: 2016-10-10T10:50:23+00:00


Dazugehören

Anfang Januar fand in Ellwangen der »Kalte Markt« statt, ein großer Pferde- und Viehmarkt, der schon seit Hunderten von Jahren in der Stadt abgehalten wurde. Für die Familie des Viehhändlers Julius Levi war das jedes Mal ein wichtiges Ereignis. Der Vater war in diesen Tagen ständig unterwegs und brachte am Nachmittag oft befreundete Kunden oder Viehhändler aus der weiteren Umgebung mit, die dann im Wohnzimmer saßen, Trollinger tranken und dickleibige Zigarren rauchten, bis neblige Schwaden im Zimmer hingen und die Mutter abends trotz der kalten Winterluft alle Fenster aufriss, um »wenigstens wieder etwas sehen zu können«, wie sie dann halb scherzhaft, halb unwillig zu sagen pflegte.

Die Gruppe, die der Vater in diesem Jahr am Montagabend, dem ersten großen Markttag, nach Hause brachte, war etwas kleiner als sonst, und es waren keine Kunden, sondern nur jüdische Kollegen.

Erich fiel auch auf, dass die meisten sorgenvoller und ernster aussahen als sonst. Sie machten zwar ihre Witze mit Erich und Max, steckten ihm auch Geldscheine zu, als verspätetes Bar-Mitzwah-Geschenk, dann aber zogen sie sich rasch unter gedämpftem Gemurmel in Levis gute Stube zurück. Die Mutter brachte Gläser und den Rotwein und schloss dann behutsam die Wohnzimmertür. Dieses Mal gab es wenig Lachen oder ausgelassenes Reden wie früher.

Die Mutter hatte Erich erzählt, dass der alte Herr Neumeister aus Oberdorf seinen Betrieb ganz aufgegeben habe und zu seinen Kindern nach Stuttgart gezogen sei. Am Schluss habe er fast gar keine Geschäfte mehr getätigt. Und Salomon Hirsch, der eine große Viehhandlung in der Nähe von Gaildorf hatte, rede offen davon, alles zu verkaufen, bevor er gar nichts mehr dafür bekomme, und auszuwandern. Erich fühlte einen Stich, als die Mutter ihm das erzählte, denn da war er wieder, dieser schlimme Gedanke, dass sie auch weggehen müssten eines Tages. Aber er versuchte, diese Vorstellung zu unterdrücken, und half der Mutter eifrig, im Keller neue Rotweinflaschen zu holen. Als er das Wohnzimmer betrat, um den Nachschub zu bringen, hatten die Männer die Köpfe eng zusammengesteckt.

»Und überall machen sie sich breit, diese Sau-Kerle«, hörte er beim Eintreten den jungen Bamberger sagen, der als Einziger Zigaretten rauchte. Er hatte kürzlich die Viehhandlung seines Vaters in Bopfingen übernommen und war dabei, eine Familie zu gründen. Seine Frau erwartete gerade ihr erstes Kind, wie der Vater am Abend zuvor der Mutter erzählt hatte.

»Überall die Uniformen und die Fahnen! Und zur Eröffnung spielt die SA-Kapelle und nicht mehr die gute alte Stadtkapelle!« Salomon Hirsch hieb auf den Esstisch im Wohnzimmer, dass die Gläser klirrten, und die Männer nickten zustimmend.

Der junge Bamberger ergänzte: »Heute Abend im ›Lamm‹ hat die SA schon fast alle Tische reserviert. Man kann nirgends mehr hingehen. Und ich hätte schon gerne den Haase angeschaut.« Leises zustimmendes Grummeln begleitete seine Worte.

Erich hatte in der Zeitung gelesen, dass der berühmte sächsische Komiker Paul Haase anlässlich des »Kalten Marktes« im Gasthaus »Lamm« auftreten würde, und er konnte sich vorstellen, wie enttäuscht der Vater sein musste, der sicher brennend gerne zu dieser Veranstaltung gegangen wäre. Aber unter lauter SA-Leuten – undenkbar! »Da würde uns wortwörtlich das



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