Ethik in den Ingenieurwissenschaften by Unknown

Ethik in den Ingenieurwissenschaften by Unknown

Autor:Unknown
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783658294762
Herausgeber: Springer Fachmedien Wiesbaden


11.2 Die mobile Gesellschaft – ein Missverständnis

Verkehr und Mobilität sind ein Begriffspaar, das häufig synonym verwendet wird. Nein, nicht ganz: Die Verwendung des etwas altmodisch klingenden Begriffs „Verkehr“ verliert an Boden, während Mobilität in ihrer modernen Anmutung zunehmend auch in zusammengesetzten Wörtern an Bedeutung gewinnt. Die alte Verkehrsleitzentrale in Hessen wird heute von „Hessenmobil“ gemanagt, die ehemalige Deutsche Bundesbahn als größtes deutsches Verkehrsunternehmen präsentiert sich als Mobilitätsdienstleister, deutsche Autohersteller bieten „Mobility as a Service“ an – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Verkehr, das klingt nach Stau und Lärm, nach Straßen, Autos, Dreck und Toten. Mobilität dagegen ist positiv konnotiert. In einer offenen Gesellschaft, in der ungewisse Lebensläufe zum Lebensentwurf gehören, in der im Global Village die Orte räumlich und kulturell immer mehr zusammenrücken, ist das Unterwegssein ein Kennzeichen maximaler Flexibilität und Ungebundenheit, der permanente Aufbruch vermittelt ein Gefühl von Freiheit und Unverzagtheit. Dem gegenüber stehen Ortsgebundenheit und Kirchturmdenken, Engstirnigkeit und mangelnder Veränderungswille als Kennzeichen einer räumlichen wie geistigen Unbeweglichkeit, die den Ansprüchen der mobilen Gesellschaft nicht mehr gewachsen ist. Und tatsächlich sind multilokale Lebensformen mit mehreren Lebensmittelpunkten, das flexible Arbeiten „von unterwegs“ oder in unverorteten und sich stetig ändernden Coworking Spaces konstitutive Merkmale moderner Lebens- und Arbeitswelten.

Gleichwohl und neben diesen normativen Begriffssetzungen wird auch in den klassischen Verkehrswissenschaften eine wichtige Unterscheidung zwischen Verkehr und Mobilität getroffen. Mobilität kommt vom lateinischen „mobilitas“ und bedeutet im Grunde Beweglichkeit. In den Verkehrswissenschaften wird überwiegend die außerhäusige Alltagsmobilität betrachtet. Unter realisierter Mobilität werden somit Aktivitäten verstanden, die der Bedürfnisbefriedigung außerhalb der eigenen Wohnung dienen. Solche Bedürfnisse können der Weg zur Arbeit oder zur Ausbildung sein, Besuche bei Freund*Innen und Verwandten, Wege zum Einkaufen oder zur Arztpraxis, die Begleitung von Kindern oder älteren Menschen bei Wegen, die sie noch nicht oder nicht mehr selbstständig zurücklegen können.

Über die Anzahl und den Zweck dieser täglichen Wege werden seit vielen Jahren umfängliche Erhebungen durchgeführt und – das mag erstaunlich sein – sowohl im internationalen Maßstab als auch im Zeitverlauf gibt es hier nur wenig gravierende Unterschiede. Die Anzahl der täglichen Wege war seit Jahren und im internationalen Vergleich, auch unabhängig vom Einkommen, nahezu konstant und lag bei etwas über drei Wegen pro Tag. Laut dem neuesten Bericht zur Mobilität in Deutschland (MiD) gab es nach Jahrzehnten von 2008 zu 2017 erstmals einen beachtlichen Rückgang von 3,4 auf 3,1 Wege pro Person und Tag. Lediglich die älteren Menschen legen heute in Deutschland mehr tägliche Wege zurück als noch vor 20 Jahren, bei allen anderen Alters- oder Personengruppen sind dagegen keine derartigen Entwicklungen erkennbar.

Verkehr dagegen beschreibt den Aufwand, der betrieben wird, um die täglichen Wege zurückzulegen. Hier kommen einmal die Verkehrsmittel ins Spiel, wenn ich mich also entscheide den Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Wir sprechen dann von Fußverkehr, von Radverkehr, von Autoverkehr oder von Bus- und Bahnverkehr. Noch entscheidender für die Verkehrsentstehung ist aber die Länge der Strecke, die für jeden täglichen Weg zurückgelegt werden muss. Hier ist seit vielen Jahren zu beobachten, dass die durchschnittliche Weglänge infolge der immer höheren Geschwindigkeiten der Verkehrsmittel kontinuierlich und deutlich zugenommen hat.



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