Ethik als Grundlagenforschung by Lukas Ohly
Autor:Lukas Ohly
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2020-08-24T13:29:49.470000+00:00
5.3
Das theologische Geltungskriterium ethischer Absolutheitsansprüche
Auch andere moralische Ansprüche können wiederkehren. Auch sie behalten ihre Anwesenheit. Der Unterschied zum christlich-ethischen Anspruch besteht darin, dass alle moralischen Ansprüche mit der Anspruchslosigkeit Christi konfrontiert sind und sie alle dem Gehalt der Versöhnung nicht entkommen können. Zum einen unterliegen sie alle dem Problem des kategorialen Gefälles zwischen einem absoluten moralischen Rechtfertigungsbedarf und der prinzipiellen Unfähigkeit, diesem absoluten Anspruch auf inhaltlicher Ebene entsprechen zu können. Dieses Gefälle kann nur durch den absoluten Anspruch selbst ausgeglichen werden. Zum anderen erniedrigt sich dazu der absolute Anspruch in der Anspruchslosigkeit des gestorbenen Jesus und erhöht damit Jesu Anspruchslosigkeit in der absoluten Nötigung, alle moralischen Ansprüche an der universalen Versöhnung zu verhandeln. Wenn universale Versöhnung im Raum steht, ist zwar alles verhandelbar, aber doch nur gerechtfertigt, wenn es dem universalen Anspruch der Versöhnung entspricht.
Wenn alles verhandelbar wird, so heiÃt das, dass der Mensch von nun an auch alle seine moralischen Ansprüche rechtfertigen kann, die er rechtfertigen muss. Aufgrund der anthropologischen Voraussetzungen und des phänomenologischen Gefälles zwischen dem absoluten Rechtfertigungsbedarf und relativer Rechtfertigungsfähigkeit muss der Mensch sich moralisch rechtfertigen, kann es aber nicht. Die Erniedrigung des absoluten Anspruchs des Widerfahrens moralischer Nötigung vollendet sich nun darin, dass Menschen auch dazu befähigt werden, wozu sie verpflichtet sind, nämlich sich zu rechtfertigen. Denn ihr Rechtfertigungskriterium liegt in der Versöhnung: âLasst euch versöhnen mit Gott!â Damit ist zwar nicht alles erlaubt (gegen 1. Kor. 6,12a), aber alles, was erlaubt ist, orientiert sich dabei am Geist der Versöhnung. Man soll zwar nicht diesem Geist zuwiderhandeln, aber man soll verzeihen, wenn ihm zuwidergehandelt wird. Man kann sich also, wenn man ihm mutwillig zuwiderhandelt, nicht damit rechtfertigen, dass man mit Vergebung rechnet. Sondern weil man auf Vergebung hofft, will man aus Achtung vor dem Geist der Versöhnung andere moralische Personen nicht zur Vergebung nötigen. Nur in dieser Einschränkung gilt, dass zwar nicht alles erlaubt, aber alles am Kriterium der Versöhnung verhandelbar wird: âAlles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmenâ (1. Kor. 6,12).
Nun können Nicht-Christen zurückweisen, dass sich Gott mit Christus identifiziert und damit seinen göttlichen Anspruch an der Anspruchslosigkeit dieses Menschen angeglichen und vor dem Kriterium der Versöhnung verhandelbar gemacht hat. Müssen etwa alle Menschen Christen sein? Dann wären mit der Anspruchslosigkeit weitere inhaltliche Ansprüche verbunden, was zu einem Widerspruch führen würde: Zur Versöhnung gehörte dann die unversöhnliche Haltung des Christentums zu anderen Religionen und Weltanschauungen.
Darauf antworte ich mit zwei Argumenten: Erstens entkommt keine Weltanschauung, keine Religion und kein Wirklichkeitsverständnis dem Dilemma, sich rechtfertigen zu müssen, es aber nicht zu können. Jede ethische Theorie muss daher um ein gerechtfertigtes Element der Vergebung oder Versöhnung erweitert werden. Sie bedarf der Perspektiverweiterung, dass nur der absolute Anspruch die Rechtfertigung des Menschen übernimmt. Es reicht dazu nicht aus, Gott nur als strengen Richter zu verstehen, der Gericht hält. Denn wenn aus dem absoluten Anspruch nur die Nicht-Rechtfertigung des Menschen folgt, ist Ethik grundsätzlich dilemmatisch. Die Verurteilung des Menschen durch einen gerechten Richter unterstreicht dann nur,
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