Es wird eine Rebellion geben · Was unsere Demokratie jetzt braucht · Gespräche mit Jakob Augstein by Meyer Frank A
Autor:Meyer, Frank A. [Meyer, Frank A.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
ISBN: 9783280055649
Herausgeber: Orell Füssli Verlag
veröffentlicht: 2014-09-02T00:00:00+00:00
Frank A. Meyer
Der Wert des Menschen
Worum geht es bei der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn? Etwa um Ökonomie? Folgt man der alten marxistischen Ideologie, dann geht es immer um Ökonomie. Ebenso nach der aktuellen neoliberalen Ideologie.
Die zwei entgegengesetzten säkularen Glaubenslehren erblicken in der Wirtschaft den Weg zur Erlösung: Der Kommunismus sieht sie in der Vergesellschaftung aller Produktionsmittel; der Marktradikalismus in deren Privatisierung – bis hin zu wesentlichen staatlichen Einrichtungen und Leistungen, seien es Schulen, Verwaltung, Straßenbau oder Sozialwerke. Was immer zur gesellschaftlichen Infrastruktur gehört, soll als Geschäft betrieben werden. Nicht einmal die Geldschöpfung durch staatliche Zentralbanken ist vom Furor der fanatischen Privatisierer ausgenommen.
Zu den Produktionsmitteln der Marktgläubigen zählt auch der Mensch. Sie erfassen ihn in ihren Profitbilanzen als »homo oeconomicus«, als »Humankapital«, als »human resources«. Auf Deutsch: als »Rohstoff Mensch«.
Der Rohstoffmensch bietet nach dieser Eschatologie seine Arbeit auf dem Markt als Ware an, die dann verrechnet wird mit der Nachfrage nach ebensolcher Ware, was schließlich den Lohn hervorbringt, respektive den Wert, den der Mensch auf dem Markt gerade zu erzielen vermag.
Geht es also beim Mindestlohn ebenfalls um Ökonomie, da doch die Ökonomie der Angelpunkt aller Argumentation ist?
Nein. Eben gerade nicht. Denn beim Mindestlohn geht es um den Menschen. Nur um ihn.
Nur? Es geht um den Menschen als Höchstes.
Es geht um seine Existenz. Die soll der Mindestlohn am unteren Rande der Gesellschaft garantieren: eine bescheidene, eine normale, eine gesunde Existenz, gesichert durch einen gerechten Lohn für des Menschen Arbeit.
Doch was ist ein gerechter Lohn, ein nicht vom Arbeitsmarkt – also vom Warenmarkt – hervorgebrachter Mindestlohn? Darüber können Ökonomen, die höheren Geistlichen der Wirtschaftskirche, ganze Gebetsbücher vollfabulieren.
Im vorliegenden Fall jedoch ist die Antwort einfach: Ein gerechter Lohn ist ein menschengerechter Lohn. Und ein menschengerechter Lohn ist ein Lohn, der dem arbeitenden Menschen gerecht wird, indem er ihm die Existenz ermöglicht.
Und zwar eine Existenz ohne Heimarbeit, ohne Kellnern am Abend, ohne Verkaufsaushilfe in Randstunden, ohne Babysitting in der Nacht, auch ohne Flaschensammeln aus Abfalleimern – ohne zweiten oder gar dritten Job. Und ohne Sozialhilfe.
Es geht also nicht etwa um mehr Lohn im Sinne von mehr Lohngerechtigkeit. Es geht um das Mindeste, das einem arbeitenden Menschen zusteht, einfach, weil er ein Mensch ist, in diese Zeit, in diese Gesellschaft geworfen, dem Leben ausgesetzt, das er zu leben hat, vor der Gesellschaft, vor seinen Angehörigen, vor Gott oder allein vor sich selbst.
Es geht also um wenig, aber zugleich ums Ganze: Es geht um des Menschen Leben. Derzeit berechnet mit acht Euro fünfzig pro Stunde Arbeit – als Mindestlohn gesetzlich festzulegen.
Dagegen laufen die Marktradikalen Sturm. In ihren Augen ist die staatliche Garantie dieses Lohnes Gotteslästerung: Weil ihr Gott der Markt ist und Gott gerecht, muss der von ihnen als unantastbar erklärte Marktlohn ebenso gerecht sein.
Sogar die Deutsche Bank, Deutschlands Geldkirche, mit kriminellen und spekulativen Umtrieben der jüngeren Vergangenheit weiß Gott ausgelastet, fühlt sich zu warnen aufgerufen: Acht Euro fünfzig pro Stunde, diese Sünde wider das ökonomische Gesetz, führe zum Verlust von 450 000 Arbeitsplätzen im besten Fall, einer Million im schlimmsten.
Die hauseigenen Ökonomen-Pfäffchen belegen, was die höheren Würdenträger zu belegen ihnen befohlen haben.
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