Es liegt in der Familie by Margaret Millar
Autor:Margaret Millar [Millar, Margaret]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783257607352
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Priscilla spielte am liebsten mit dem Fortepedal. Es verbarg nicht nur den gelegentlichen Fehler hier und da, sondern drang auch in jede Ecke des Hauses und zeigte jedem, daß sie übte, einschließlich Großpapa.
Großpapa übersetzte einen der Briefe Ciceros. Er hielt Cicero für einen mittelmäßigen Mann und wurde immer ungeduldig bei seinen Briefen. So war es leicht, diese Ungeduld auf Priscilla zu schieben.
Er rief die Treppe hinunter. »Priscilla, ich dachte, du hättest heute schon geübt?«
»Habe ich auch, Großpapa.«
»Ja und?«
»Ich dachte bloß, ich könnte noch ein bißchen mehr üben, freiwillig.«
»Timeo Danaos et dona ferentes«, sagte Großpapa.
Mutters Mißtrauen war weniger leicht zu wecken als Großpapas, und erst als Priscilla anbot, das Geschirr zu spülen, wurde Mutter argwöhnisch.
»Warum willst du Geschirr spülen?« fragte sie.
»Och, ich dachte nur, da ich sowieso hier bin und nichs tue, könnte ich genausogut jemandem einen Gefallen tun.«
»Und das ist der einzige Grund?«
»Du lieber Himmel«, sagte Priscilla pathetisch. »Kann man denn keinem einen Gefallen tun, ohne daß er gleich denkt, man hätte Hintergedanken?«
{135}Mutter betrachtete sie aufmerksam. »Du hast doch nicht etwas ausgefressen, oder?«
»Meine Güte, die Leute hier in diesem Haus sind ja so was von mißtrauisch.«
»Gewöhnlich bieten die Leute hier in diesem Haus auch nicht an, Geschirr zu spülen«, sagte Mutter. »Aber bitte, wenn du unbedingt willst.«
Das Geschirrspülen dauerte eine Stunde. Dennoch war die Zeit nicht völlig vergeudet, denn Priscilla traf eine Reihe wichtiger Entscheidungen: am Freitag in der Radiostation ihr Sonntagskleid aus blauem Satin zu tragen, Pappteller und -becher zu benutzen, wenn sie heiratete, und sich einen ebenso jungenhaften Bubikopf schneiden zu lassen wie Isobel Bannerman. Außerdem entwarf sie die beiden ersten Zeilen ihres Todesgedichts.
»Oh, was ist Tod«, fragte Priscilla, sich über das ordinäre Geschirr mit seinem ordinären Schmutz usw. erhebend, »als nur ein Ende eitlen Strebens und Freiheit von dem Sturmgebraus des trüben ird’schen Lebens?«
In Anbetracht des Gedichts, des Geschirrspülens und der Klavierübungen war Priscilla der Meinung, daß sie brav genug gewesen war. Ein Gegenmittel war notwendig.
»Oh, Flittchen«, sagte sie, sehr leise, für den Fall, daß es Lauscher gab.
Es war schon halb acht, und der Samstag war fast vorbei. Die goldenen Stunden waren gekommen und gegangen, bis nur noch diese eine Stunde vor dem Schlafengehen übrig war. Und auch diese wäre verdorben, wenn sie ihre Politik des Bravseins weiterverfolgte und ins Bett ginge, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.
{136}Zum Glück hatte sie noch drei Lakritzstücke vom Nachmittag übrig, und diese milderten ein wenig ihren Schmerz, als sie sich ins Wohnzimmer schleppte und verkündete, daß sie ins Bett ginge.
»So früh?« fragte Mutter. »Wozu? Und antworte nicht mit vollem Mund.«
»Ich dachte, ich gehe ins Bett und denke ein bißchen nach, solange ich noch nicht einschlafen kann.«
Vater gab ihr einen liebevollen Klaps auf das Hinterteil. »Worüber, Prissy?«
»Über die Arbeit meines Lebens«, antwortete Priscilla. »Es ist Zeit, daß ich mich für die Arbeit meines Lebens entscheide, für das, was ich einmal sein möchte, damit ich ein abgerundetes Leben führen kann. Ich werde nicht jünger.«
»Wie wahr«, sagte Vater ernst. »Pflücke die Rose, eh’ sie verblüht.«
Priscilla entgegnete, sie mache sich nichts daraus, Rosen zu pflücken, sie sei bereits entschlossen, ein berühmter Radiostar zu werden.
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