Es blieb nur ein rotes Segel by Heinz G. Konsalik

Es blieb nur ein rotes Segel by Heinz G. Konsalik

Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-29T04:00:00+00:00


X

Im Leben eines jeden Menschen – bei dem einen früher, bei dem anderen später – kommt der Augenblick, in dem er spürt, daß ein Höhepunkt des eigenen Daseins erreicht ist. Oft kommt diese Erkenntnis plötzlich, schicksalhaft, wie ein Blitzeinschlag; manchmal ist sie das Ende einer langen Entwicklung, die Erreichung eines Ziels, die Frucht aller Mühseligkeit. Aber immer, wenn man spürt, darüber hinaus könne es nun nichts mehr geben, immer ist es wie eine totale Lähmung.

Bis man dann weiß und eingesehen hat, das Leben geht weiter – aber mit einem veränderten Gesicht.

Matilda knickste tief, als Nikolai Alexandrowitsch eintrat. Sie hörte, wie die Tür leise ins Schloß fiel, sie hörte seine Schritte, sie spürte seine Nähe und wagte nicht, den Kopf zu heben und ihn anzublicken. Seine Stimme klang sanft und seltsam gehemmt, als er sagte:

»Matilda Felixowna, ich hatte Ihnen versprochen, bei Ihrem Triumph dabeizusein. Es mußte ein Triumph werden, darüber war ich mir von Anfang an klar. Sie haben heute nicht nur St. Petersburg erobert, Sie haben auch mich ganz erobert. Und – sogar den Zaren! Mein Vater läßt sie bitten – bitten! – zu ihm zu kommen. Hiermit erfülle ich meine dienstliche Mission.«

Matildas Herzschlag setzte jetzt tatsächlich aus. Jetzt sterbe ich, dachte sie ganz klar. So also ist das mit dem Tod … Ganz still ist es in einem, kein Laut mehr in der Brust, alles verliert Raum und Klang. Sie wartete auf die Dunkelheit, aber es blieb hell um sie.

Sie roch den Duft der herrlichen Orchideen, sie hörte, wie der Zarewitsch mit irgend etwas hantierte, sie vernahm von weitem ein rhythmisches Hämmern. Die Bühnenarbeiter bauten die Dekorationen ab.

»Kaiserliche Hoheit –«, sagte sie leise. »Womit habe ich diese Ehre verdient …«

»Ich bin gekommen als Nikolai Alexandrowitsch und möchte mit Ihnen ganz allein ein Glas Champagner auf Ihren Erfolg trinken. Lassen wir uns dabei nicht stören von einer Kaiserlichen Hoheit. Ich sehe keine in diesem Raum …«

Matilda zuckte zusammen. Eine Hand des Zarewitsch faßte ihren Ellenbogen und zog sie hoch aus ihrer tiefen Verneigung. Sie hob den Kopf … und wieder war es wie bei ihrer ersten Begegnung im Oktober, als seine sanften Augen sie anblickten, scheu über den Umweg durch den Spiegel an der Übungsstange. Es war ein Blick, der sie durchdrang und sie ganz in seine Hände gab.

Sie richtete sich auf und nahm die weißen Orchideen entgegen, die Nikolai ihr jetzt mit der anderen Hand hinhielt. Dann standen sie sich gegenüber und wußten nicht, was sie sagen sollten, denn alle Worte würden jetzt dumm und banal klingen.

»Ich … ich habe mir gedacht«, sagte Nikolai endlich, »daß unsere kleine Feier am besten in ihrer Garderobe stattfindet, am Ort Ihres Triumphes. Außerdem ist er sehr gut abzuschirmen. St. Petersburg ist ein Schwatznest … wenn man irgendwo in einem Garten mit der Stiefelspitze gegen einen Stein stößt, wissen es in kürzester Zeit der Hof, der Innenminister, der Polizeipräsident, der Chef der Geheimpolizei und der Direktor der Chirurgischen Klinik. Der Thronfolger ist an einen Stein gestoßen! Wie kann das möglich sein? Wer hat



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