Erzählungen by Otto Flake

Autor:Otto Flake [Flake, Otto]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105601310
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-06-24T16:00:00+00:00

9

Heinrich wußte längst, daß sich am ehesten etwas bei ihm erreichen ließ, wenn man ruhig auseinandersetzte, worin das Für und Wider bestand. Sie wurden einig; wie immer Christof später entschied, zunächst holte er den doctor juris, als eines Juristen und Staatsmannes Sohn, als Erbe einer Überlieferung. Was die Studien betraf, so ging er am besten so vor, wie der Vater einst vorgegangen war: er verband sie mit dem Aufenthalt in fremden Ländern, um so früh wie möglich so viel wie möglich zu sehn. Er selbst hatte mit England begonnen –

Ihm schwebten Holland und Spanien vor, fiel Christof ein, dann wolle er Frankreich und Italien kennenlernen, den Abschluß denke er sich in Basel.

In Straßburg, berichtigte Heinrich, das sei man der Vaterstadt, der neuen Universität schuldig. Christof nickte; womit also begann er, mit Holland?

Heinrich mißfiel es, daß die Calvinisten dort Grotius, den Völkerrechtslehrer, zu lebenslänglicher Haft verurteilt hatten, nur weil er einer andern Sekte anhing. Grotius sei nach Paris geflohn, fügte er hinzu, auch dem Sohn biete es Schutz in dieser Zeit des wandernden Krieges. Christof nickte wieder und griff nach dem Cervantes, einem Lieblingsbuch.

Heinrich, der sich erinnerte, wie sehr es ihm geholfen hatte, als bei seiner ersten Ausreise der Vater ihn nach London brachte, wünschte Christof denselben Dienst zu erweisen, war aber unabkömmlich, da eben die Stadt den Kapitelbesitz den katholischen Domherren zurückgeben mußte und Gefahr bestand, daß der Kaiser auch die Auslieferung des Münsters verlangte.

Er versprach, den Sohn übers Jahr von Paris nach Spanien zu begleiten. Christof konnte sich dem nach Paris reisenden Residenten anschließen und nahm Abschied.

Er schrieb regelmäßig, und zuerst klang alles befriedigend. Heinrich, der selbst in Bursen gewohnt hatte, konnte sich ihn vorstellen, wie er seine Stube mit zwei Kameraden teilte. Es schienen intelligente Burschen zu sein; wieder erörterte eine neue Generation die religiösen Probleme. Nicht lange, und in den Briefen tauchte ein Name auf, der Heinrich an seinen Aufenthalt vor zehn Jahren erinnerte: diesen Flamen Jansenius hatte er bei Louise gesehn.

Der Löwener war schon zu einem Begriff geworden; Christof erging sich in Ausführungen über den Jansenismus und Port-Royal, das nach der Stadt verlegt worden war. Die Damen der Gesellschaft drängten sich hinein, redeten von der Gnadenwahl. Das war ihre Sache; warum nur ging Christof so eifrig darauf ein?

Befremdet las er, daß der Sohn Umgang mit dem Abt von SaintCyran pflegte, jenem du Vergier, der sich mit Jansenius fünf Jahre zum Studium der Kirchengeschichte zurückgezogen hatte. Der Abt leitete, Pariser Vertreter des Flamen, das ganze Konventikel von Herzoginnen, die sich langweilten, von Nonnen, die einen neuen Beichtvater als Ereignis ansahn, und von Studenten, die ihre Vorlesungen zu vernachlässigen schienen.

Dann trat in den Briefen ein neuer Name auf, und eine Ergriffenheit sprach aus den Zeilen. Vinzenz von Paula, das war der Kaplan der Königin von Navarra gewesen; jetzt faßte er die Wohlfahrtsbestrebungen des Landes in seiner Hand zusammen, schickte die Hofdamen mehr als je in die Spitäler zu den Kranken, in die Elendsviertel zu den Armen, und arbeitete mit einer Gefolgschaft von Männern, die sich Lazaristen nannten. Förmliche Lazaristenbriefe liefen in Straßburg ein.

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