Erschiess die Apfelsine by Mikael Niemi
Autor:Mikael Niemi [Niemi, Mikael]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2011-12-12T23:00:00+00:00
Abend. Habe beschlossen, August Strindberg eine Chance zu geben. Nach Meinung vieler der beste Schriftsteller Schwedens. Das Buch, das ich nur widerstrebend aus der Schulbibliothek ausgeliehen hatte, roch nach Rost. Nach dem Handschweià von Hunderten von Schwedischschülern. Nach drei Seiten war ich kurz vorm Einschlafen. Ich kämpfte mich weiter, wollte dem Typen eine ehrliche Chance geben. Der Sohn einer Magd. Zehn Seiten ein einziger Brei. Gestelztes Geschwafel. Ich durchschaute ihn absolut, ein Bleichgesicht mit Munddiarrhöe, der mit Worten wie mit Klopapier um sich schmiss. Ein leicht durchschaubarer Bluff. Er wollte gar nichts mit seinem Buch, es gab kein Licht, keine Energie. Er wollte nur berühmt werden, die Leute sollten ihn anschauen und sagen: »Da geht der Dichter.« Er schrieb mehr als fünfzig Bücher und Stücke, das allein ist ja schon verdächtig. Kein anderer Mensch brauchte so viel Platz, um das auszudrücken, was ihn beschäftigte. Das war pathetisch. Ich blätterte auf die letzte Seite, um zu sehen, ob noch etwas passierte. Aber dem war nicht so. August Strindberg war eine Null, passend für Schwedischlehrer und Bibliothekare.
Ich spürte die Wut in mir aufsteigen. Stürzte ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Der Kopf tat mir weh, vorsichtig zog ich das Pflaster von der Augenbraue. Der Riss war dunkel wie schwarze Johannisbeeren und feucht von Eiter. Vielleicht war doch die Kugel dran schuld. Ein Kugelfragment, das zurückgeprallt war. Auf jeden Fall hatte ich eine Schusswunde. Man konnte geradezu sagen, dass ich angeschossen worden war, aber überlebt hatte. Aus dem Weg, Augüstchen, du bist schon lange tot. Ein steifer, verrotteter Kerl. Während ich hier stehe und blute.
Ich beschloss, den Wundschorf trocknen zu lassen und ihn nach ein paar Tagen abzukratzen. Wenn ich Glück hatte, wurde das eine saftige Wunde. Keine lächerliche Tätowierung mit Tribalen, Drachen oder japanischen Schriftzeichen, sondern echte Ware.
Selbst die Kopfschmerzen fühlten sich auf irgendeine Art und Weise frisch an. Echt. Erregend. Ich würde keine Schmerzmittel nehmen; wenn ich einen Revolverschuss überlebt hatte, dann würde mich dieser kleine Schmerz auch nicht umbringen.
Die Wohnungstür klackte, ich hörte, wie Mama ihre Schuhe abschüttelte. Schnell wickelte ich mir ein Handtuch um den Kopf und schnappte mir meine Zahnbürste.
»Hast du geduscht?«
Ich nickte, während ich mir so konzentriert die Zähne putzte, wie ich nur konnte. Ãberrascht hob Mama die kleinen Schutzpapiere vom Pflaster hoch, die neben dem Waschbecken lagen.
»Du hast dich verletzt.«
»Mbll ⦠Kratschwunde«, murmelte ich mit Schaum im Mund.
Mit einem Griff zog sie das Handtuch weg. Die Krankenschwester. Sie konnte Blut wie ein Spürhund riechen.
»Das sieht ziemlich tief aus.«
Ich spuckte aus und spülte mir den Mund, um Zeit zu schinden.
»Also, ich ⦠ich habe mich an einem Zweig geratscht.«
»Ein Zweig.«
»Im Wald. So ein dicker Zweig, man kann fast sagen, ein Ast.«
»Das muss genäht werden. Ich nehme dich mit in die Notaufnahme.«
»Nein, Mama â¦Â«
»Du hörst, was ich sage. Das sieht ziemlich tief aus.«
Ich begegnete ihrem Blick. Ich war gröÃer als sie, und ich dachte an Strindberg. Der Sohn einer Krankenschwester.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe«, platzte ich raus, »es ist nur ein kleiner Riss. Und jetzt gehe ich ins Bett.
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