Erkenne dich selbst by Richard David Precht
Autor:Richard David Precht [Precht, Richard David]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: Goldmann
veröffentlicht: 2017-10-11T22:00:00+00:00
Von der Moral zur Wirtschaft
In einem Punkt waren sich die meisten britischen Philosophen des 18. Jahrhunderts einig: Moralphilosophie ist zugleich Gesellschaftslehre! Diese Sichtweise ist bemerkenswert, denn heutige liberal-kapitalistische Gesellschaften sehen das nicht so. Wir vertrauen nicht der Moral, sondern Gesetzen, Verfahren und Institutionen (weswegen Philosophen bei uns auch kaum noch eine Bedeutung haben). Umso interessanter ist der Blick auf den damals weit verbreiteten Gedankengang: Wenn Menschen ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse folgen, dann entwickeln sie von sich aus Tugenden im Einklang mit der Gesellschaft. Und diese Tugenden wiederum bilden die Grundlage eines guten Staates und einer blühenden Wirtschaft.
Sowohl Hutcheson als auch Hume vertrauen dem ökonomisierten Tugendbegriff des 17. Jahrhunderts: das, was dem wohlverstandenen Eigeninteresse des Einzelnen nützt – einschließlich seines Gewinnstrebens –, das nützt am Ende allen! Moralisches Empfinden, Tugend und Kapitalismus sind untrennbar miteinander verknüpft. Und die kapitalistische Ökonomie ist nichts anderes als die gesellschaftlich ausgelebte Natur des Menschen. Zwar glaubt Hume nicht wie Locke, dass es im Naturzustand bereits Eigentum gegeben habe. Aber das Erringen von Eigentum ist für ihn ein wichtiger zivilisatorischer Fortschritt. Die kapitalistische Wirtschaft bringt die menschliche Tugend zur Blüte: in tüchtiger Arbeit, im Streben nach Fortschritt und in den Annehmlichkeiten des Wohlstands.
Für Hume sind alle Tugenden »soziale Tugenden« (social virtues). Was gut an der Moral ist, ist immer gut im Hinblick auf die Gesellschaft. Je mehr Anerkennung Hume im Laufe seines Lebens bekam, umso besser erschien ihm zugleich die Gesellschaft, in der er lebte; ein Phänomen, das bis heute bei vielen Menschen auffällt. Wer Erfolg hat, ist meist unkritischer als der, dem es schlecht geht. Hat Hume im Treatise noch bestritten, dass der Moralsinn unweigerlich zum Sinn für Gerechtigkeit führt, so nimmt er dies in seinem Enquiry zurück. Hier glaubt er, dass die morals der vielen Einzelnen die Gesellschaft gedeihen und gedeihlich wirtschaften lassen. Ein liberaler Atheist wie er sah sich dabei nicht im geringsten Konflikt mit einem konservativen Kleriker wie Josiah Tucker (1713 – 1799), dem Dekan von Gloucester: »Die Selbstliebe und das Eigeninteresse jedes einzelnen … werden gleichzeitig mit der Sorge um sich selbst das öffentliche Wohl fördern.«100 Die Allianz von Bischof, Bürger und Banken steht auf ziemlich breiten Füßen.
Doch von welchem öffentlichen Wohl ist die Rede? Hume schreibt in der Mitte des 18. Jahrhunderts über die englische Wirtschaft, und auch Tuckers Instructions for Travellers erscheinen 1758. Das Land erlebt einen enormen ökonomischen Aufschwung. In der Regierungszeit Georgs II. wird der Jakobitenaufstand in Schottland niedergeschlagen, und die Briten bauen ihre Machtstellung in Europa weiter aus. 1761 leben in England 6,7 Millionen Menschen, dazu kommen etwa eine Million Schotten. Die Bevölkerung umfasst nur ein Achtel der heutigen Zahl, aber das Problem der Überbevölkerung ist ein Thema. Denn im Gegensatz zu den großen Städten ist das Leben auf dem Lande meist katastrophal. Sogenannte Einhegungen (Enclosures) nehmen den Bauern schon seit zwei Jahrhunderten das gemeinsam bewirtschaftete Gemeindeland weg. Und wo sich die Dörfer ehemals mit Getreide und Gemüse selbst versorgten, weiden jetzt Schafe für den internationalen Wollhandel und Rinder für den nationalen Fleischmarkt.
Hume kennt diese Entwicklung und beschreibt sie in seiner History of England.
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