Erinnerungen an Pallahaxi by Coney Michael

Erinnerungen an Pallahaxi by Coney Michael

Autor:Coney, Michael [Coney, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2015-06-29T16:00:00+00:00


5 DIE GRUME

FRÜHER GAB ES AM ENDE des Dorfes eine Segelfähre über den Fluss. Sie wurde vom Vater der Mutter des Nirgendwo-Manns betrieben, aber nach seinem Tod hat niemand seine Arbeit fortgesetzt. Das Verkehrsaufkommen war einfach zu gering. Ein Männerdorf, das vom Fischen lebt, verfügt über genug Boote und hat sehr wenig Bedarf an spezialisierten Diensten. Der heilige Hain von Noss beginnt am alten steinernen Fährkai und zieht sich bis zum Kap über den Hügel. Der Weg durch den Wald führt im Zickzack zur Klippe hinauf und folgt dann der Küste nach Westen bis zur Schlachterbucht. Die künftige Mutter des Nirgendwo-Mannes war diesen Weg gegangen, bevor es zur historischen Begegnung mit meinem Großvater und seinem Freund Hotsch gekommen war.

Ich fand Talis am nicht mehr benutzten Kai, wo sie allein auf dem Wrack der Fähre im Schatten eines Meertrinkers saß und über das Wasser zur anderen Seite des Flusses blickte. Neben ihr lag mein Skimmer. Zuerst hätte ich sie fast nicht wiedererkannt, weil sie mir den Rücken zukehrte und einen weiten Pelzkittel trug, der schon bessere Tage gesehen hatte. Ich identifizierte sie daran, wie mein Herz auf die übliche heftige Weise auf ihren Anblick reagierte.

»Hallo, Talis!«

Sie fuhr herum und riss die Augen ungewöhnlich weit auf. Als ich mich ihr näherte, konnte ich erkennen, dass sie stark zitterte. Sie starrte mich an, ohne ein Wort zu sagen.

»Ich bin’s«, sagte ich fröhlich. »Ich bin nicht tot.«

Diese Eröffnung war vielleicht nicht sehr einfühlsam, aber man muss bedenken, dass wir uns bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestanden hatten, dass wir etwas füreinander empfanden. Ich hatte zwar ein umfangreiches Wissen über die Vergangenheit, aber keine Ahnung, wie die Zukunft aussah und was sie für Talis und mich bereithielt.

Talis zitterte immer noch. Sie legte sich die Hände auf die Augen und beugte sich etwas vor, während sie dasaß, die Arme um die Knie geschlungen. Dann teilten sich die Finger, und ich sah zwei braune Augen, die mich kurz ungläubig betrachteten, bevor sie sich wieder schlossen. Sie begann leise zu schluchzen.

Es machte mir beinahe ein schlechtes Gewissen, dass ich noch am Leben war. Ich setzte mich und legte einen Arm um sie. Dann gab ich murmelnd die sinnlosen beruhigenden Laute von mir, mit denen auch meine Mutter mich getröstet hatte, bevor ich ins Männerdorf umgezogen war. Es war das Beste, was mir auf die Schnelle einfiel. So saß ich eine ganze Weile da und wartete darauf, dass etwas passierte.

Als es passierte, war es geradezu zwangsläufig und recht heftig. Sie drehte sich mir zu, warf die Arme um meinen Hals, zog mich an sich heran und legte eine sehr feuchte Wange gegen meine.

»Ich dachte, du wärst tot«, flüsterte sie. »Sie haben mir gesagt, du wärst tot. Ich wollte selber sterben.«

Ich kam mir völlig unzulänglich vor. »Ich wusste nicht … mir war nicht klar …«

Sie ließ mich los, legte die Hände auf meine Schultern und starrte mit feuchten braunen Augen in meine. Plötzlich war sie völlig ruhig. »Natürlich war es dir klar«, sagte sie. »Niemand kann fühlen, was ich fühle, ohne auf die gleiche Weise geliebt zu werden.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.