Englands Krone by Musall Bettina; Schnurr Eva-Maria
Autor:Musall, Bettina; Schnurr, Eva-Maria [Musall, Bettina; Schnurr, Eva-Maria]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2015-04-21T16:00:00+00:00
DAS RECHT DER MENSCHEN
Ein Beamtensohn aus Somerset stellte im
17. Jahrhundert die Monarchie infrage: John Locke
war der Erfinder des modernen Staates.
Von Thomas Darnstädt
Der hagere Mann mit der großen Nase wirkte vollkommen harmlos. Und doch verfolgten ihn die Spitzel des Königs. Viel heraus fanden sie allerdings nicht: »Niemand weiß, wohin er geht oder wann er zurückkommt. Sicherlich steckt eine Intrige dahinter, aber von ihm selbst hört man kein Wort und nichts über die gegenwärtigen Ereignisse, als ob er mit ihnen überhaupt nichts zu tun hätte.« So steht es in einem Aktenvermerk, vertraulich, aus dem März 1682.
Locke hieß der Mann, John Locke. Was der Gelehrte aus Oxford in seiner Londoner Wohnung im Schreibtisch verschlossen hielt, machte der Krone allergrößte Sorgen. Denn so viel war klar: Der spitzfindige Wissenschaftler stellte die göttliche Macht der Monarchie infrage. Das war sogar noch britisch untertrieben: In Wahrheit war der Text, an dem er Tag für Tag feilte, geeignet, nicht nur das englische Königshaus, sondern die ganze Welt aus den Angeln zu heben.
John Locke gilt bis heute als der Vordenker des liberalen demokratischen Verfassungsstaates. Fast alles, was in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in den europäischen Verfassungen, ja, auch im Grundgesetz über Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie steht, steht bereits im Kern in diesem Manifest aus der Feder John Lockes, das zunächst nur anonym kursierte: Die »Zwei Abhandlungen über die Regierung«.
Darin holt der Mann mit der markanten Nase die Macht vom Himmel auf die Erde und legt sie in die Hand der Menschen: Nicht Gottes Gnade, sondern der Mehrheitswille der Gesellschaft, so argumentierte er, legitimiere Macht. Darum sei es auch keineswegs so, dass die Krone Eigentümer von allem sei und das Recht an den Feldern und ihren Früchten den Untertanen nur verleihe. Auch Eigentum kommt fortan von unten. Es entsteht, schrieb Locke, vor allem durch Arbeit.
Das war eine Revolution. Selbst das Wissen, lehrte Locke, sinkt nicht als Erleuchtung vom Himmel, der Mensch erreicht es durch gewissenhafte Beobachtung der Schöpfung Gottes und durch scharfes Nachdenken: Empirie und Vernunft statt Glauben und Beten.
Die Welt einmal vom Kopf auf die Füße gestellt: Nicht nur liberale Demokraten, Menschenrechtler und Staatsdenker berufen sich bis heute auf den Mann, Revolutionäre begeistern sich für seine Ideen über das Eigentum, Wissenschaftler für seine Theorien über das Denken. Den »Erfinder des Rechtsstaates« nennt ihn der Frankfurter Staatsrechtler Erhard Denninger; den »Begründer der modernen Erkenntnistheorie« der emeritierte Marburger Philosophieprofessor Reinhard Brandt.
Doch nicht Mister Locke hat die Geschichte gemacht, die Geschichte hat ihn gemacht. Mit einem Stipendium kam der junge Überflieger aus puritanischem Hause, Sohn eines Gerichtsbeamten, gerade in der Zeit nach Oxford, als da die Welt neu erfunden wurde. In den Labors und Bibliotheken der Universität wurden in der Mitte des 17. Jahrhunderts die Grundlagen für eine neue, empirische Wissenschaft ausgekocht. In den Diskussionsrunden befreiten sich die Naturwissenschaftler vom Würgegriff der christlichen Kirche und vom Aberglauben der Alchemie.
Nach ein paar Jahren wissenschaftlichen Studiums in Oxford machte der junge Locke eine Entdeckung, die später das Denken der Aufklärer von Hume über Voltaire bis zu Rousseau prägen sollte: Souverän ist, wer seinen eigenen Kopf beherrscht.
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