Endzeit by L Jensen

Endzeit by L Jensen

Autor:L Jensen [Jensen, L]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-09-05T14:30:51+00:00


2. Teil

8

Ich habe gelernt, dass der Plan, den man sich für sein psychologisches Überleben zurechtlegt, nicht unbedingt die Zustimmung anderer findet. Dass die persönliche Vorstellung von Gerechtigkeit ein künstliches Konstrukt ist, überflüssig und nebensächlich in einer Welt, die aus Zellen, Mineralien, Wind, Meer, Flammen und Synapsen besteht. Dass das Ausmaß einer Niederlage immer im Verhältnis zu der Größe des Egos steht, das dabei leidet. Und dass Wissen immer einen Preis hat.

Den muss ich heute bezahlen.

Ein Kater ist eine furchtbare Rache. Letzte Nacht fand in meiner Wohnung ein kleines, lauschiges Chardonnay-Festival statt. Ein melancholischer bulgarischer Chor sorgte für die musikalische Untermalung, wobei sich die Kopfhörerkabel irgendwann hoffnungslos unter dem Bett verknoteten. Ein Teil von mir schaute dabei zu. Der andere Teil hatte das Sagen.

Da ich mich heute hundsmiserabel fühle und beim Leben in Ungnade gefallen bin, werde ich mir etwas Gutes gönnen. Ich werde mir von einem schweigsamen Kosovo-Albaner mit Motorradhelm eine Champignonpizza mit extra Käse ins Haus liefern lassen. Dann werde ich mir Renovierungssendungen im Fernsehen anschauen. In schamlosem Selbstmitleid ertrinken. Meine schlimmste Feindin sein, die sich als beste Freundin tarnt und die selbst zugefügten Wunden mit der Geduld und dem Mitgefühl einer hingebungsvollen Narzisstin pflegt. Ich werde Leidenschaft, sexuelle Erfüllung und romantische Liebe als Fata Morganas erkennen, von denen ich mich nie wieder täuschen lasse. Und ich werde vergessen, dass Bethany Krall in eine Einrichtung verlegt wird, in der man sie bis ans Ende ihres vermutlich kurzen Lebens mit schweren Psychopharmaka ruhigstellen wird.

Morgen folgt dann Teil zwei der Geschichte, in dem ich meine Stelle kündige; meiner Vermieterin Mrs. Zarnac erkläre, dass ich ihr essigsaures Reich verlassen werde; Lily frage, ob ich bei ihr in London wohnen kann, was bei einer Wohnung im zweiten Stock ohne Aufzug logistisch schwierig sein dürfte; in dem ich aufhöre, mich um das Schicksal von Kind B. zu sorgen, den Weltuntergang aus meinen Gedanken verbanne und mir eine Gehirnwäsche verpasse, um den wankelmütigen, sommersprossigen Physiker aus meiner Seele zu tilgen. So jedenfalls sieht meine Agenda aus, die ich aufgestellt habe, bevor ich mich mit einem Handtuch um die frisch gewaschenen Haare hinsetze und meine Anrufe abhöre.

Worauf sich der Plan ändert.

Nicht wegen der ersten Nachricht, bei der es sich um einen emotionalen Ausbruch von Lily handelt, deren Problem eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit meinem aufweist. Sie und Joshua haben sich offiziell getrennt, sie ist ausgezogen. Sie glaubt, froh darüber zu sein. Lily ist ein großer Wodka-Fan, und ihre undeutliche Aussprache verrät mir, dass auch sie ein kleines Festival gefeiert hat. Sie klingt, als hätte sie schon sieben Kurze intus. Mich überkommt eine ungeheure Zuneigung, als sie sich kleinlaut entschuldigt, doch dann folgt sofort die bange Frage: Heißt das etwa, ich kann nicht auf ihrem roten Samtsofa schlafen? Mein schmerzender Kopf verlangt verdrießlich nach mehr Paracetamol, als gehörte er jemand anderem und ich wäre seine Sklavin. Na, schluck schon. Du weißt, dass du es willst.

»Roller. Roller. Geh an das beschissene Telefon!« Sowie ich das heisere Babykrächzen höre, lasse ich das Handtuch sinken und lausche konzentriert. Sie ruft von einer mir unbekannten Nummer an, vermutlich aus dem Krankenhaus.



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