Enceladus (German Edition) by Brandon Q. Morris

Autor:Brandon Q. Morris [Morris, Brandon Q.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Hard Science Fiction
veröffentlicht: 2017-01-22T23:00:00+00:00

26. Oktober 2045

Am nächsten Morgen wurde er mit einem Kater wach. Er lag angekleidet auf seinem Bett. Jemand hatte ihm die Schuhe ausgezogen. Er erinnerte sich an das letzte Bier bei PJ’s. Danach musste ihn Willinger heim gefahren und aufs Bett gelegt haben. Sein Schädel brummte, doch übel war ihm nicht. Er hatte heute frei, daran konnte er sich erinnern. Ab morgen war dann Überleben in der Wildnis angesagt.

Martin versuchte, sich an den vergangenen Abend zu erinnern. Dave hatte eine wichtige Frage gestellt: ob er mit dieser Mission versuche, aus seinem Leben zu fliehen. Das war eine Frage, die ihm jetzt wie ein Vorwurf vorkam. War es wirklich feige, auf eine jahrelange, unsichere Reise zu gehen? Ja, Willinger hatte Recht. Es schien nur Außenstehenden mutig, Menschen, die ihn nicht kannten. Dass der Raumflug unter großen Fragezeichen stand, dass die Technik noch nicht erprobt war – das ängstigte ihn kein bisschen.

Klar, es gab da ein paar mögliche Situationen, die er bisher lieber vermieden hatte. Er bekam, was niemand wusste, Angst im Dunklen, schon seit seiner Kindheit, wenn seine Mutter mal wieder abends ausgegangen war. Das Weltall war geradezu der Hort der Dunkelheit, gleich gefolgt von der Tiefsee und einem kilometertiefen Loch im Eis. Und er würde viele Tage mit Kollegen umgehen müssen, die er nicht kannte, wo doch der Umgang mit Menschen generell nicht zu seinen Stärken zählte.

Warum er trotzdem zugesagt hatte, war ihm damals nicht klar geworden. Jetzt bekam er eine Ahnung davon, wie stark sein Widerwille gegen das Leben geworden sein musste, wenn er sich freiwillig seinen Urängsten aussetzte. Er spürte, dass er mit seiner toten Freundin etwas gemeinsam hatte. Wahrscheinlich war es gerade die Aussicht, von dieser Reise nicht zurückzukehren, die sie für ihn so attraktiv machte: eine Todes-Sehnsucht, die er sich nie hatte eingestehen wollen.

Was hieß das für ihn und seine Entscheidung? Es bedeutete, dass er nicht geeignet war für diesen Raumflug. Es hieß, dass er eine Gefahr darstellte für seine fünf Kollegen, die sicher an ihrem Leben hingen. Wenn er eigentlich sterben wollte, konnte er dann sicher sein, alles zu tun, um im Notfall das Überleben der Crew zu retten, und sein eigenes? Der größte Unsicherheitsfaktor bei diesem einzigartigen Unternehmen der Menschheit war nicht die unausgereifte Technik, sondern der Mensch. Er.

Martin beschloss, seine Teilnahme abzusagen. Er würde bei der NASA kündigen, nach Deutschland zurückkehren, sich von einer Dating-Agentur eine nette Frau suchen lassen, heiraten, Kinder großziehen. Die Frau, mit der man ihn nicht bekanntmachen wollte, würde sein Ticket zum Enceladus bekommen. Die Erleichterung, die er nach der Entscheidung erwartet hatte, blieb aus.

Der folgende Tag war als Reisetag verplant. Martin versuchte schon am Morgen, jemanden zu finden, dem er seine Absage mitteilen konnte. Doch es war Wochenende. Er traf nur den Fahrer, der ihn zum Flughafen brachte. Nach der Landung in Boston hatte man ihm einen weiteren Fahrer organisiert, einen Inder, den er kaum verstehen konnte. Die Tour ging vier Stunden lang in Richtung Norden, fast bis an die kanadische Grenze. Schon kurz nach der Abfahrt vom Flughafen setzte Regen ein.

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