Emil Nolde by Kirsten Jüngling
Autor:Kirsten Jüngling [Jüngling, Kirsten]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-10-16T16:00:00+00:00
Emil Nolde um 1920
»Es kam der Krieg. Es kam die tiefe
deutsche Erniedrigung«359
Der Deutsche Nolde
»Wir kamen so erfüllt vom Deutschtum nach Deutschland«, schreiben Noldes an Schieflers am 30. August 1914 aus Halle, »und fanden hier die Einheitsstimmung in so gewaltigem Maße, daß es für uns alle nur heißt: mit Deutschland stehen oder fallen.« Vor allem Ada glüht geradezu für Deutschland und ist mit ihren Landsleuten in Dänemark sehr unzufrieden: »Es ist ganz unbegreiflich, daß alles was von England kommt geglaubt wird u. alles Deutsche nicht.« Das soll sich ändern, also verfasst sie einen kurzen Beitrag und schickt ihn an eine dänische Zeitung. Und damit die Aufklärung noch weiter fortschreitet, listet sie 86 Adressen auf, an die ein Flugblatt geschickt werden soll. Fleißig dokumentieren Noldes gewonnene Schlachten und stecken Fähnchen in eine Landkarte. Die »machen Fortschritte zu unserer großen Freude, besonders da drüben bei Hindenburg,360 aber auch nach England zu.«361 Sie wähnen den »guten Frieden« nah. Es ist Oktober 1914, und die ersten Nachrichten von Verletzten und Gefallenen im Bekanntenkreis erreichen das kleine Haus auf Alsen, wo »das Feuer im Ofen brummt und die Herbstsonne schräge Strahlen ins Zimmer sendet und draußen kalt der Herbstwind weht«.362 Emil malt, so gut es geht. Er klagt über Augenprobleme, über die vielen Briefe, die er schreiben muss und wohl auch will und die ihm die wenigen hellen Stunden verkürzen. Denn wieder einmal drängt es ihn zum Schreiben. Dieses Mal sind es Weltverbesserungsbriefe, in denen er seinen auf der großen Reise gewonnenen neuen Blick auf Europa und speziell auf Deutschland samt Lösungsansätzen – er ist »der Meinung, daß England mit Deutschland irgenwie teilen müsse«363 – verbreitet. Emils Stimmung ist gedrückt, er hat oft Kopfschmerzen, und er trauert den verlorenen Südseebildern nach.
Adas teutonischer Furor ist ungebrochen: »Die Wäsche hängt an der Leine u. wird vom Ostwind gepeitscht. Der bringt die schnellsten Grüße von dem Tapferen im Osten, es ist viel Ach u. Klage drin u. viel Heldenmut und Männlichkeit.«364 Ob das Luise Schiefler tröstet, deren Sohn im Feld steht? Der Friede ist immer noch heißersehnt, aber nach wie vor nur der »gute«: »Möchte der Krieg doch bald ein Ende nehmen – aber nur mit sieg, sonst möchte ich lieber daß wir kämpfen sollen bis selbst wir Frauen in den Krieg gehen müßen, den kein Scheffel Erde sollen die Feinde haben dürfen.«365 – »Wir brennen darauf daß die Unterseebote anfangen sollen die englischen Handelsschiffe zu torpedieren. Es giebt kein Mitgefühl mehr, es giebt nur Rache und Größe.«366 Die Propaganda war hier offensichtlich erfolgreich, Adas Kampfmoral schwächelt auch 1915 nicht.
Emil Noldes Geschäft läuft gut, trotz allem. Neue Kunden wie Carl Hagemann müssen betreut, mit Briefen versorgt werden. Auch als Hagemann zwei Bilder umtauschen will, was Nolde verstimmt. Die Kerzentänzerinnen und das Stillleben Reiter und Frauenkopf sollen durch drei andere ersetzt werden,367 die zusammen allerdings 1800 Mark mehr kosten,368 ein unerwarteter Zusatzverdienst für Nolde. Seine Ausstellungen laufen weiter, er produziert weiter. Er malt in Stemmilt die Familie Bonnichsen, also seine Schwester, ihren Mann Lorenz und Sohn Emil. Er malt die Gärten seiner Alsener Nachbarn.
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