Eins wollt ich dir noch sagen by Louisa Young
Autor:Louisa Young
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage, Berlin
veröffentlicht: 2011-07-19T16:00:00+00:00
14. Kapitel
London, Mai 1917
PETER SCHRIEB IN SEINEN Briefen, er hoffe, es gehe allen gut.
Mrs Orris schrieb in ihren Briefen, es sei töricht von Julia, bei diesem schlechten Wetter reisen zu wollen, selbstsüchtig, dafür Benzin zu verschwenden, albern zu glauben, irgendjemand hätte Zeit, sie zu begleiten, gedankenlos, den eingespielten Alltag in Froxfield durcheinanderzubringen, undankbar ihr gegenüber, die sie sich geopfert und Tom zu sich genommen habe, und rücksichtslos dem Jungen gegenüber, jetzt auf einmal aufzutauchen, wo sie sich so lange nicht um ihn gekümmert habe. Die neue Kinderschwester sei hervorragend und sie, Mrs Orris, gern bereit, sie zu bezahlen, und im Übrigen sei im Haus kein Platz für Julia, aber ihr Besuch sei ja auch nicht notwendig, da es Tom sehr gut gehe und er seine Mutter überhaupt nicht vermisse.
Julia schrieb: »Ich komme, und ich werde im Crown wohnen.«
Mrs Orris verbot es ihr. Was würden die Leute von ihr denken?
Julia, die stets ein gehorsames Kind gewesen war, eifrig bemüht, das zu tun, was man von ihr erwartete, hatte nie jemanden gefunden, mit dem sie über ihre Mutter reden konnte. Nicht einmal sich selbst. Peter immerhin hatte über Mrs Orris gelacht und Julia die amüsiert-verständnisvollen Blicke zugeworfen, die der Gegängelten so viel bedeuteten.
Eines Nachmittags fuhr Julia allein nach London. Als Erstes nahm sie ein Taxi zu dem kleinen Hotel in Mayfair und stellte ihre Tasche ab. Dann spazierte sie hinaus in den Zauber eines strahlenden Londoner Frühlingstags: Sonne auf den verzierten Fassaden, zarte hellgrüne Blätter, die sich förmlich vor ihren Augen entfalteten, dichte Büschel cremefarbener Kastanienblüten. Ihre Absätze klapperten auf dem Pflaster, und sie spürte die anregende Zielstrebigkeit der Großstadt. Sie ging die Bond Street entlang, sah in die Schaufenster und bewunderte die ausgestellten Dinge. Sie hatte Geld. Krieg war gut fürs Geschäft. Er hätte hierbleiben und in der Firma arbeiten können; niemand hätte ihn deshalb schräg angesehen. Viele Männer hatten es so gemacht. Sie liefen doch überall hier herum, reich geworden durch Holz und Kugellager und Kekse und Landkarten. Er hätte es genauso machen können. Oder sie hätten nach Amerika gehen können.
So viele Leute. Überall waren Paare. Und Frauen, jünger als sie, hübsch und strahlend im Sonnenschein. Sie fragte sich, was aus ihnen werden würde. Würden sie einen Ehemann finden? Würde es bald vorbei sein und würden sie dann mit ihren schlanken jungen Körpern an die Riviera fahren und schlanke junge Männer heiraten, die während des Krieges noch zur Schule gegangen waren? Oder dicke Männer, die jetzt in Büros saßen und Eisen und Baumwolle von hier nach dort schickten? Oder wird es erst vorbei sein, wenn sie so alt sind wie ich jetzt? Und wenn es vorbei ist, wie wird es dann ausgegangen sein? Werden ihre Kinder als Deutsche aufwachsen? Werden wir alle vergewaltigt und in unseren Betten ermordet werden? Die Fragen erschienen ihr unwirklich. Wie konnte man sich vorstellen, dass solche Dinge tatsächlich geschahen? Über so etwas konnte man nicht nachdenken. Und reden durfte man darüber erst recht nicht. Über die fehlenden Taxis, ja. Über Bombenangriffe und Tod? Eher nicht. Darüber, dass wir den Krieg verlieren? Auf keinen Fall.
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