Eine kleine Geschichte PreuÃens by Eberhard Straub
Autor:Eberhard Straub
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbücher/Geschichte/Neuzeit bis 1918
ISBN: 9783608102383
Herausgeber: Klett-Cotta Verlag
Trügerische Ruhe im fieberhaften Frieden
»Die Fürsten dieses Staates müssen ganz Nerv sein, oder sie sind verloren«, meinte Friedrich der GroÃe, der seinem Neffen und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. wenig zutraute. Wie alle Ausnahmeerscheinungen fürchtete er, dass ungefähr dreiÃig Jahre nach seinem Tod sein Werk zusammenbrechen werde. Das war allerdings nur ein feuilletonistischer Einfall des gereizten Alten. Der aufmerksame Beobachter seiner Zeit beurteilte Frankreich als eine absteigende Macht. Symptome für eine Revolution bemerkte er nicht. Die Französische Revolution von 1789 und deren Nachwirkungen erschütterten die Grundlagen Europas und nicht nur PreuÃens. Auch ein König, der »toujours en vedette«, immer auf dem Posten war, wäre deshalb in gröÃte Schwierigkeiten geraten. Es lag nicht allein am Naturell Friedrich Wilhelms II., wenn er sich von einer Improvisation zur nächsten rettete. Die Notwendigkeit, auf die sein Onkel sich so oft berief, konnte ihm keinen besseren Rat erteilen.
Friedrich Wilhelm II. war eine stattliche, für den Zeitgeschmack schöne Erscheinung, ein Mann der »groÃen Welt« im ästhetischen Sinn. Er besaà elegante Manieren, Geschmack und die erforderlichen Kenntnisse, um sich gesellschaftlich angenehm zu machen. Er liebte die Musik. Er war empfindsam, wie die Mode es forderte, und suchte Bewusstseinserweiterung durch Magie und andere geheimnisvolle Künste zu erlangen. Am meisten liebte er aber die Frauen. Nach der geschiedenen ersten Ehe noch zwei Mal verheiratet, lieà er sich zwei weitere Gemahlinnen »zur linken Hand« als Nebenfrauen antrauen. Seine offiziellen Verbindungen beeinträchtigten in keiner Weise sein dauerndes Verhältnis zur Gräfin Lichtenau, seiner Mätresse. Diese Musikantentochter, als Wilhelmine Enke geboren, erzog er zu einer vollendeten Dame. Sie war lebensklug genug, sich nicht in die Politik zu mischen. Immerhin war es für PreuÃen etwas Neues, dass Frauen am Hofe eine Rolle spielten. Auch in dieser Hinsicht hatte Berlin nun die Höhe der Zeit, einer galanten Zeit, die an ihr Ende kam, erreicht. Es wurde zu einem Hof wie jeder andere.
Die Berliner genossen es nach sechzig Jahren strenger Zucht auch einmal, fünf gerade sein lassen zu dürfen. Berlin erwarb sich den Ruf, eine sehr vergnügliche Stadt zu sein, die Aufklärung auch über andere Wichtigkeiten als die von der Wirksamkeit Gottes oder des Staates versprach. Wie immer, wenn verspielte Seelenfreundschaften vornehme Gemüter beschäftigen, mangelte es nicht am süÃen Parfüm einer sehr mondänen Gottseligkeit. Der König hüllte sich in diesen lieblichen Duft, und alle machten ihm das nach.
Man schwärmte für das Schöne, das Liebe und die wundersamen Ekstasen, die den Geist erheben, sobald die Seelen sich nicht nur geschwisterlich vermählen. Ãberall wurde musiziert, poetisiert, philosophiert, gefühlt, geweint, getanzt und ununterbrochen geredet. In den literarischen Salons dachten die zärtlichen Porzellanfiguren mit dem Herzen und fühlten mit dem Verstand. Dort regierten die belesenen Frauen als Sachwalter des guten Geschmacks, der guten Manieren und geistiger Anmut: Henriette Herz, Rahel Levin und Dorothea Veith, alle drei jüdischer Herkunft. Das war nicht sonderlich überraschend. Denn jüdische Emanzipation in Berlin bedeutete seit Moses Mendelssohn bewusste Aneignung der Kultur, in der sie leben wollten. Die Emanzipation konnte in Berlin am raschesten Fortschritte machen, weil die Berliner insgesamt sich in einer ähnlichen Situation befanden, bemüht,
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