Eine Liebe in Prag - Roman by Insel Verlag

Eine Liebe in Prag - Roman by Insel Verlag

Autor:Insel Verlag
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2014-01-15T00:00:00+00:00


Helena

Niemand mochte diese schroffen und feindlichen Landschaften, diese düsteren Felder, diese trostlosen Weiten, diese kahlen Wälder.

Außer Helena.

Diejenigen, die hier lebten, fürchteten die endlosen Winter, die grauen Tage, an denen nie die Sonne schien. Außer Helena. Selbst dann, wenn der aus Polen kommende scharfe Nordostwind blies, den die Wildscheine und die Wölfe fürchteten. Zu viel Schnee in diesem Jahr, die Tiere konnten die Rinde der Bäume nicht mehr abnagen und verhungerten.

Dieses abseits gelegene Tal im tiefsten Böhmen am Rand von Mähren war immer noch weniger unwirtlich als die Welt ringsum. Man lebte ohne Angst vor seinen Nachbarn. In der Nebensaison gab es keine. Man war weit von Prag entfernt. In einem vergessenen Land. Mit dem Frühjahr würden die glücklichen Tage enden, wieder müssten sie allen misstrauen: den Kranken, ihren Familien, den Pflegerinnen und den Besuchern, den Kopf senken, nicht mehr sprechen. Das schlechte Wetter zog sich endlos hin. Die alten Bauern schworen, dass man seit über dreißig Jahren keinen so erbarmungslosen März mehr erlebt habe. Wenn das so weitergehe, wäre es wie 37, der Boden hätte keine Zeit, aufzutauen, die Ernte werde verloren oder lachhaft gering sein.

Pech für den Plan.

Das Jahr 1966 war katastrophal gewesen. Sechsmal waren die Straße und das Telefon unterbrochen worden. Helena und Josef waren die Einzigen, die sich nach draußen wagten. Der Polarwind quälte die Tiere ebenso wie die Menschen. Josef hatte nie Lust, sich der Eiseskälte auszusetzen. Helena bestand darauf, dass er sie begleitete. Er protestierte vergeblich, sie solle ihm nicht auf die Nerven gehen. Mit sechsundfünfzig hatte er das Recht, im Warmen in seinem Sessel zu sitzen, zu lesen und Pfeife rauchend am Kamin vor sich hin zu träumen. Er wollte Würste auf dem Holzkohlefeuer grillen. Sie schrie ihn an, sie habe es satt, ihn meckern zu hören wie einen alten Griesgram. Sie müsse raus und Luft schöpfen, er werde sie doch nicht allein lassen.

Was würde passieren, wenn sie einem schwarzen Wolf oder einem Bären begegnete und ausrutschte?

Jeden Tag erfand sie eine neue Bedrohung, er hatte nicht das Herz, sie im Stich zu lassen. Schimpfend zog er sich drei Pullover und zwei Schals an. Er knurrte noch mehr, weil sie lächelte, es nervte ihn, immer gelang es ihr, ihn hinauszulocken, vor allem seit der Schneepflug die Straße freigeschaufelt und es nicht wieder geschneit hatte. Vom Sanatorium bis zum Dorf waren es zwei sanft abfallende Kilometer, ein Stück Weges, ohne sich zu beeilen, zwischen zwei Schneewehen, ohne je einer Menschenseele oder dem kleinsten Fahrzeug zu begegnen. Es war kein hübscher Spaziergang.

In Kamenice war der Schnee nie weiß.

Hier lebte man wie unter einer Glasglocke. Ohne jeden Horizont. Josef hatte seine in Chamonix gekauften Schneestiefel aus Seehundfell angezogen. Solche Schuhe wurden heute nicht mehr hergestellt. Sie waren unverwüstlich. Helena wusste, an wen er dachte, wenn er sie ansah. Wozu ihn zurechtweisen? Sie wartete auf der Türschwelle auf ihn, er ging rasch zu ihr, damit die Wärme sich nicht davonstahl. Wieder einmal erzählte er ihr von den Spaziergängen zum Lac Blanc oder zu den Georges de la Diosaz, als wäre es das erste Mal.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.