Ein Tag, der alles ändert (German Edition) by Barbara Longley

Autor:Barbara Longley [Longley, Barbara]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00

KAPITEL 9

Ryan betrachtete sein Spiegelbild, während er sich vor dem Ausflug mit Paige rasierte. Bildete er sich das nur ein, oder sah er gesünder aus, eher so, als wäre er wieder ein richtiger Mensch? Ach was. Das Äußere konnte trügen, und sein Gesicht war nicht länger mit einem Haarpelz bewachsen, das war alles. Wenn sich ihm bei dem Gedanken, vielleicht seinem Onkel oder seinen Vettern über den Weg zu laufen, dann auch noch der Magen zusammenkrampfte, war das wohl Hinweis genug, dass er in der vergangenen Woche dem Zustand der Gesundheit keineswegs näher gekommen war.

Sein erster Termin beim Seelenklempner der Army stand nächsten Donnerstag bevor, und das machte ihn nachdenklich. Nach dem Selbstmordanschlag im Irak hatte er die obligatorische Zahl von Pflichtsitzungen absolviert, und er wusste, wie so was lief. Der Psychofritze würde ihm offene Fragen stellen, um ihn auf den Gedanken zu bringen, dass es nicht gut für ihn war, seiner Familie aus dem Weg zu gehen. Diese Typen hielten mit solchen Vorschlägen immer erst einmal hinter dem Busch. Sie sagten einem nicht einfach, was sie wollten. Nein. Ein Therapeut führte einen in so einem Gespräch im Kreis herum, bis man endlich zu der Schlussfolgerung gelangte, die sie einem von Anfang an hatten nahelegen wollen. Seelenklempner waren in so was gut. Und in diesem Fall hätten sie ja vielleicht recht.

Falls sein Onkel und einer oder mehrere seiner Vettern sich wegen des Rodeos in Evansville aufhielten – und das war mehr als wahrscheinlich –, wäre es bescheuert von ihm, nicht wenigstens kurz bei ihnen vorbeizuschauen. Vielleicht würde er sogar genug Mut sammeln, um nächste Woche mit seinen Eltern zu telefonieren. Seine Leute würden dankbar sein, wenn sie endlich wüssten, wo er sich aufhielt und was er tat. Hatte Noah ihm nicht geradezu befohlen, seine Mom anzurufen?

Beim Gedanken, wieder Verbindung mit seiner Familie aufzunehmen und seinen Verwandten nach so langer Zeit entgegenzutreten, überfiel ihn die Angst. Total verkrampft wartete er darauf, dass seine Erinnerungen zum Angriff bliesen. Doch das blieb aus. Stattdessen schmerzte ihn eine entsetzliche Sehnsucht, seine Brüder, Schwestern und Eltern wiederzusehen, wie ein Loch in der Brust. Er stieß langsam den Atem aus, nahm sich das frische Hemd vom Haken hinter der Badezimmertür und zog es an.

Er musste im Grün von Paiges Augen seine Erdung wiederfinden und ihre Stimme hören. Sie sollte an seiner Seite stehen, ihre Hand fest in die seine gelegt. Er schüttelte den melancholischen Gedanken an seine Familie ab, nahm seinen Cowboyhut vom Pflock an der Wand und ging zum großen Haus. Zwei Stufen auf einmal nehmend, stieg er die Treppe hinauf und klopfte an.

Lucinda machte auf und hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen. Sweat Pea stand neben ihr, die Zunge hing ihm aus dem Maul, und Speichelfäden troffen von seinen riesigen Lefzen herunter. »Hallo, Lucinda, ist deine Tante Paige fertig?« Er beugte sich vor und kraulte den Hund hinter den Ohren. »Wie geht’s dem lieben Sabbermonster denn heute?«

»Du hast Sweet Pea gerettet.« Das kleine Mädchen sah ihn mit einem Blick an, der für ihr Alter viel zu ernst war.

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