Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) by Babtschenko Arkadi

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) by Babtschenko Arkadi

Autor:Babtschenko, Arkadi [Babtschenko, Arkadi]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644114715
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-01-17T00:00:00+00:00


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Heimatland, verrat mich nicht

Alexander Tschikunow traf ich an einem Sonntagabend in einer stillen Seitengasse der Moskauer Iljinka. Vogelzwitschern, Sonne, Schläfrigkeit. Niemand da außer uns. Die träge Ruhe eines Krankenhaushofes. Vielleicht fing er deshalb von seiner Verwundung an.

«Das erste Mal im Krieg war ich in Sumgait. Als sie uns dort hinbrachten, fing alles gerade erst an. An der Kreuzung der Freundschafts- und Friedensstraße hatte sich eine riesige Menschenmenge versammelt – fünfzehntausend Mann. Zwischen ihnen Schützenpanzer irgendeiner Infanterieschule. Ich weiß nicht, wer in diesen Panzern saß – Armenier oder Aserbaidschaner. Ihr Anführer war Hauptmann. Und dieser Hauptmann riss plötzlich die Maschinenpistole hoch und begann in die Menge zu schießen. Dreißig Gefechtspatronen in die dichtgedrängte Masse. Die Menge weicht zurück. Verwundete, Tote, Schreie … Und dieser Hauptmann zieht einen der Panzerfahrer aus der Luke, setzt sich an seinen Platz und fährt mit voller Geschwindigkeit in die Menge. Beginnt, einzelne Menschen zu zerdrücken, mal mit der einen Raupe, dann mit der anderen. Kannst du dir vorstellen, was da los war? Was wir da für Leichen gesehen haben! Der Schützenpanzer war vollgespritzt mit Blut. Diese Kreuzung war der Anfang aller Kriege. Danach habe ich angefangen zu schreiben.»

Tschikunow greift nach einer Zigarette. Wir rauchen. Er fährt fort.

«Ich habe zweiunddreißig Jahre in der Armee gedient, und die Armee hat nicht das Gefühl von Kameradschaft in mir hinterlassen, sondern das von Verrat. Von einem furchtbaren Verrat. Wie sie verheizt wurden, unsere Jungs. Mit der Artillerie, mit Grad-Raketen. In Grozny saßen wir einmal in einer Konservenfabrik fest, wie die Sardinen in der Büchse. Ringsum ‹Tschechen›. Zwischen denen und uns vielleicht hundert Meter, nicht mehr. Und der Kommandeur gibt plötzlich Befehl zur Artillerieunterstützung. Zwölf Kilometer hinter Tolstoi-Jurt setzt die schwere Artillerie ein. Auf diese Entfernung ist eine Abweichung von hundert Metern ganz normal. Zwei Stunden lang plätteten sie uns mit den Selbstfahrlafetten. Berge von Leichen gab das, Berge … Ich ging zum Kommandeur und bat, das Feuer einzustellen. Man bezeichnete mich als Panikmacher – hast Angst, ein oder zwei Dutzend Soldaten zu verlieren. Als mich der Querschläger eines Geschosses an der Kugelweste traf, trug ich den riesigen Splitter zum Kommandeur und schleuderte ihm das Teil auf den Tisch …

Einige Tage später verlegte man uns in die Stadtmitte. Ich war mit Soldaten der Schnellen Eingreiftruppe SOBR unterwegs. Wir sitzen auf dem Panzer, da wird plötzlich eine Meute in Uniform herangetrieben – als Abteilung konnte man sie schwer bezeichnen. Ich frage: ‹Was sind das für welche?› Reserve des Verteidigungsministeriums. ‹Sie sind vereidigt?› Nein. ‹Haben sie auch nur einmal mit einer Maschinenpistole geschossen?› Nein. Völlig grüne Jungs, nicht mal ihre Uniform war zerknittert. Ein Granatwerferbeschuss setzte ein. Die Soldaten blieben stehen – alle auf einem Haufen. Nicht einmal hinwerfen konnten sie sich ohne Befehl. Kannst du dir vorstellen, was das ist, ein Granatwerferbeschuss, wenn der ganze Hof voller Leute ist? Eine Granate schlägt ein – vier, fünf, sechs Tote … In der Menge bildet sich ein Loch, dieses Loch füllt sich sofort mit anderen. Sie drängeln sich aneinander wie die Pinguine. Sie haben Angst, suchen die Nähe der anderen, da kommt schon die nächste Granate.



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