Ein Hund mit Charakter by Márai Sándor

Ein Hund mit Charakter by Márai Sándor

Autor:Márai, Sándor [Márai, Sándor]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492953894
Herausgeber: Piper Taschenbuch
veröffentlicht: 2014-01-03T00:00:00+00:00


Die große Welt

Im Keller unseres Hauses lebt ein sonderbarer Mensch, er schreibt sich Telkes und spricht von Zeit zu Zeit mit dem lieben Gott. Überwiegend nachts. Einmal ist Gott ihm auch erschienen, in einer weißen Dunstwolke, hat sich dann aber gleich wieder verflüchtigt. Was Telkes auf diese Weise dann und wann vom lieben Gott erfährt, pinselt er mit gefälligen runden Lettern, wie einst Moses, auf Tafeln und nagelt diese Holztafeln über dem Kellereingang an die Hauswand. Dieser Mann erfährt eine besondere Genugtuung, wenn er die hehren Botschaften vermehren und verbreiten kann, mit ihrem Text die Vorübergehenden in Staunen versetzt und innehalten läßt. Der Sinn seiner Offenbarungen ist nur schwer zu ergründen, und von der ehernen Schlange bis zum bemalten Sarg, vom Glaubensschild bis zur Lanze der Gnade, reimt sich Herr Telkes allerlei krauses Zeug zusammen, denn in unserer Sprache hat auch eine gläubige Seele ihre liebe Not, sich darin zurechtzufinden. Er selbst erinnert in seinem Äußeren an den biblischen Zimmermann Joseph, trägt einen kastanienbraunen Vollbart, einen Overall aus blauem Leinen und hat sommers wie winters eine schwarze Pelzmütze auf. Auch seine Profession entspricht der des Heiligen, denn wie so viele fromme Erdenbürger macht er, wie Joseph, Zimmermannsarbeiten, tischlert und schreinert. Mit seiner Frau Hansi haust er unten im Keller, gebeizt vom erquickenden Geruch frisch gehobelter Fichtenbretter und einer beklemmenden Duftwolke aus sauer riechenden Leimtöpfen; beide leben dort in einer Atmosphäre, die zusammengerührt ist aus frömmelnder Erhabenheit und magischer Prophetie.

Herr Telkes hat die Schwindsucht und spricht leise. Was aber seinen weltlichen Leumund in der Christinenstadt betrifft, so muß man zugeben, daß sowohl seiner Arbeit wie seiner Person die einem fleißigen, aufrechten, zum Schwärmen neigenden Menschen gebührende Achtung gezollt wird; wer ihn näher kennt, weiß ihn als zuverlässigen, anständigen Mann zu schätzen, der zwar mit »Gelobt sei Jesus Christus« ankommt und mit den »Segenswünschen fürs Haus« geht, zwischendurch vielleicht ein paar Bemerkungen über den Glaubensschild und die Lanze der Gnade verliert, letzten Endes aber doch ganz zwanglos seinen Vorschuß für die übernommene Arbeit kassiert; und dieses Symptom ist vom medizinischen Standpunkt gesehen schon wieder beruhigend. Darüber hinaus liegt er im Streit mit der Belegschaft der Gendarmeriekommandantur im nahe gelegenen Wallfahrtsort Máriabesnyő. In dieser Angelegenheit wendet er sich von Zeit zu Zeit an Tschutoras Herrn, den er von Angesicht zu Angesicht und ohne rot zu werden mit Attributen wie »gnädig« und »herzensgut« auszeichnet, um sich dann von ihm allerlei Eingaben unterschreiben zu lassen, doch klug werden kann man aus alldem leider nicht.

Problematischer ist, daß Hansi eines Tages heftig aufbegehrt hat, was in der Christinenstadt zu mancherlei boshaftem und übertriebenem Getratsche Anlaß gab; die stille und wegen ihrer Körperfülle schwer schnaufende Hansi, mit der es – glaubt man den ominösen und übelmeinenden Bemerkungen von Theres – einmal »ein böses Ende« nehmen wird, weil sie »Erdbeeren ißt« und »eine Waschfrau kommen läßt«, diese Hansi hat laut revoltiert. Und wer die Umstände kennt, wird zugeben müssen, zu Recht. Unfaßbar, welcher Teufel Herrn Telkes geritten haben mag, als gerade er – der Jahrzehnte hindurch mit seiner Seelenschwärmerei



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