Ein Fall für Carlotta Weiss und Nils Trojan 01 - Eulenschrei by Bentow Max

Ein Fall für Carlotta Weiss und Nils Trojan 01 - Eulenschrei by Bentow Max

Autor:Bentow, Max [Bentow, Max]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2024-07-02T00:00:00+00:00


ZWEIUNDDREISSIG

Carlotta fuhr am Abend zu dem Heim in Kladow, in dem ihre Nichte Marissa untergebracht war. Sie wollte sich davon überzeugen, ob der Polizeischutz bereits eingerichtet war. Doch von der Heimleiterin erfuhr sie, dass sich noch kein Beamter in der Einrichtung gemeldet hatte. Carlotta rief daraufhin Trojan an und erklärte ihm die Situation.

»Ich habe mich längst darum gekümmert«, sagte er, »aber es gibt personelle Engpässe. Darum kann die Aktion erst morgen früh starten.«

»Ich mache mir aber Sorgen um Marissa.«

»Das verstehe ich gut.«

»Na schön, ich lasse mir was anderes einfallen.«

»Es ist nur für eine Nacht.«

Sie überlegte. »Es ist wohl das Beste, wenn sie heute bei mir übernachtet.«

»Würde dich das beruhigen?«

»Ja.«

»Hast du deine Dienstwaffe dabei?«

»Hab ich.« Nach einer Pause sagte sie: »Ich denke, ich sollte mehr Verantwortung für meine Nichte zeigen.«

»Okay. Gib mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.«

»Danke, Nils.«

Sie legten auf.

Die Heimleiterin gab ihr Einverständnis. »Aber nur, wenn es Marissa recht ist«, fügte sie hinzu.

Daraufhin suchte Carlotta ihre Nichte in deren Zimmer auf und erzählte ihr von ihrem Vorhaben.

Eine halbe Stunde später fuhr sie mit der Siebzehnjährigen in ihrem Bulli nach Hause. Marissa, blass, blondes verstrubbeltes Haar, Stupsnase, zierliche Figur, vom Aussehen her eher vierzehn, saß völlig in sich gekehrt auf dem Beifahrersitz.

Permanent zu schweigen, war ihre Schutzstrategie. Mutismus war der psychologische Fachbegriff dafür. Im Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen, die ihr und ihrer Mutter widerfahren waren, hatte sie sich der Sprache beinahe komplett verweigert. Jedoch wusste Carlotta von der Heimleiterin, dass es mittlerweile leichte Anzeichen der Besserung gab. Inzwischen brachte sie einzelne Worte hervor. Manchmal sogar einen kurzen Satz.

Ein Gespräch mit ihr zu führen, war dennoch nicht einfach.

»Ich wollte schon längst mal bei dir vorbeischauen«, murmelte Carlotta.

Marissa warf ihr lediglich einen Seitenblick zu.

»Es ist nur so, dass ich in meinem Job ziemlich eingebunden bin, weißt du?«

Keine Reaktion.

Carlotta hatte bereits den Großen Stern erreicht und bog in die Hofjägerallee ein. Über die Tiergartenstraße erreichte sie den Potsdamer Platz und die Leipziger Straße.

Sie hatte sich darauf eingestellt, die Fahrt mehr oder weniger schweigend zu verbringen.

Umso mehr erschrak sie, als Marissa plötzlich mit belegter Stimme sagte: »Du hast meine Mutter in den Knast gebracht.«

Carlotta musste tief Luft holen. »Ja, das ist richtig.«

Sie spürte Marissas vorwurfsvollen Blick auf sich.

»Ich weiß, dir wäre es lieber, wenn deine Mutter bei dir sein könnte.«

Erneut hüllte sich die Jugendliche in Schweigen.

Carlotta war um eine Erklärung bemüht. Noch nie bei ihren seltenen Besuchen im Heim war das Thema zur Sprache gekommen. Es war schwierig, mit jemandem zu kommunizieren, der dem Reden misstraute. War dies vielleicht ein Anfang?

»Deine Mutter hätte nicht aufgehört zu töten, wenn mein Kollege und ich sie nicht verhaftet hätten. Sie war wie im Rausch. Menschen umzubringen, war das Einzige, was sie noch antrieb.«

Marissa rührte sich nicht.

»Hass ist keine Antwort. Ich musste sie stoppen, verstehst du?«

Ihre Nichte schaute angestrengt aus dem Fenster. Der abendliche Verkehr zog an ihnen vorbei. Über den Alexanderplatz und die Otto-Braun-Straße erreichten sie den Prenzlauer Berg.

»Ich wünschte, es wäre anders für dich gelaufen.« Sie hielt an einer Ampel und blickte ihre Nichte an. »Dieses Schicksal hast du nicht verdient.



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