Ein Engel für Jule by Jo Berger

Ein Engel für Jule by Jo Berger

Autor:Jo Berger [Berger, Jo]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-09-10T16:00:00+00:00


Bilder von dir

Drei entgangene Anrufe. Einer von Elisa, einer von Maike und einer von Ulli.

Jule schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf. Sie hatte keine Lust, mit irgendjemandem zu reden. Duschen, Zähneputzen, Geschmack von Trüffeln und Beschämung vertreiben. Danach schlich sie ziellos durch die Wohnung, rückte Zeitschriften gerade, zupfte vertrocknete Blätter vom Benjamini, gab ihm Wasser und versuchte, die Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen, die wie aufgescheuchte Vögel umherflatterten.

Kurz nach Mitternacht. Samstag. Morgen in einer Woche wollte er sie seinen Eltern vorstellen. Damit würde das besiegelt sein, was sie sich wünschte. Das hatte Simon durchklingen lassen. Außerdem hatte er Daniel gegenüber erwähnt, dass sie seine künftige Ehefrau ist. Mechanisch legte sie einen Teebeutel in eine Tasse und schüttete heißes Wasser darüber, wartete auf ein freudiges Hüpfen ihres Herzens, bei der Vorstellung, sie würde schon bald Frau Grasser sein. Es blieb aus. In ihrem Hirn herrschte eine dumpfe Leere und ihr Körper schien sich jeder Regung zu verweigern. Sie bewegte sich wie durch Watte, vergaß den Tee und zog aus einer Kommode eine Schachtel mit Fotografien, breitete diese auf ihrem Bett aus. Simon, wie er ein Glas Wein hob und ihr lachend zuprostete. Simon neben einem Kamel in der Wüste Tunesiens. Sie und Simon in inniger Umarmung, im Hintergrund das Heidelberger Schloss. Simon, wie er an seinem Wagen lehnt; Simon schlafend im Bett auf der Seite liegend. Sie betrachte seinen durchtrainierten Rücken, die Lendenmuskulatur, die in die sanfte Wölbung des attraktivsten Männerhinterns überging, den sie jemals mit Händen umfasst hatte. Da war es. Das sehnsuchtsvolle Ziehen in ihrem Bauch. Wie gerne würde sie jetzt ihre Nase in seiner Halsbeuge vergraben, sich an ihn schmiegen. Unerwartet füllten sich ihre Augen mit Tränen und ein dicker Kloß setzte sich in ihrem Hals fest. Billig, hatte er gesagt. Wie eine Hure. Sie schleuderte die Fotografie von sich, stampfte in die Küche und griff sich die Schere. In fiebriger Hast zerschnitt sie alle Bilder, auf denen sie gemeinsam zu erkennen waren. Einen Moment fühlte sie sich besser. Im nächsten schalt sie sich eine hysterische Kuh. Gut, okay, sie hatte modisch danebengegriffen, nicht seinen Geschmack getroffen. Die Absicht, ihn auf verruchte Art verführen zu können, war nach hinten losgegangen. Sie hätte es sich denken können, oder? Simon stand auf Klasse, er hatte Stil und liebte das Besondere, nicht das Gewöhnliche. Frauen, die sich ordinär gaben, reizten ihn nicht. Zum Glück. Und deswegen war er auch mit ihr zusammen und nicht mit irgendeinem blonden Doofchen, das zwar viel Volumen im Vorbau hatte, ansonsten jedoch einen bestimmten Männerschlag mit gefälligem Vakuum überzeugte. Sie, Jule, hatte Stil, Hirn und Humor. Sie war die perfekte Ehefrau für Simon. Und nicht nur das. Sie war Geliebte, eloquente Gesprächspartnerin, attraktiv ohne aufdringlich zu wirken und zudem die künftige Mutter seiner Kinder. Kein Wunder, sie musste ihn mit ihrem Auftritt vor den Kopf geschlagen haben. Eine derartige Darbietung hätte er niemals von ihr erwartet. Leavers-Spitze, ja. Ordinäres Miedergedöns aus dem Sexshop, nein.

Sie wischte sich die Tränen mit dem Zipfel ihres Shirts ab und sammelte die Bilderschnipsel ein, als es klingelte.



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