Ein Engel an meiner Tafel by Frame Janet

Ein Engel an meiner Tafel by Frame Janet

Autor:Frame, Janet [Frame, Janet]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Die Behandlung mit Elektroschocks mag vielleicht viele düstere Erinnerungen zu Tür und Tor hinausjagen; sicher ist jedoch, dass sie die düsteren Erinnerungen an sie selbst, nämlich an diese Schockbehandlung, hereinbittet als ständige Bewohner.

Ich hinterlegte die Erzählung und die Gedichte in der Buchhandlung der Moderne, in einem an Charles Brasch adressierten Umschlag, dann ging ich wieder ins Grand Hotel, um die Antwort abzuwarten. Ich saß in meinem Zimmer und dachte mir alle möglichen Beurteilungen aus, stellte mir vor, wie Charles Brasch in seinem Zimmer mit den vielen Büchern den Umschlag öffnete, die Blätter herausnahm, sie entfaltete, las und dachte: «Endlich! Hier ist eine neue Erzählerin. Das ist wirklich Für uns selbst gesprochen. Was für eine Sensibilität! Was für subtile Andeutungen, niemals unverblümte Feststellungen. Die Anspielung auf den Ginster ist gut – diese beiläufige Bemerkung der Krankenschwester, als das Auto die Kilmog-Strecke verlässt … Was für Erfahrungen diese Frau gemacht haben muss (was für tragische Erfahrungen!), dass sie so schreibt. Eine geborene Schriftstellerin.»

Aber – angenommen, er hielt die Arbeit nicht für gut? Vielleicht würde er, wie in einem Schulzeugnis, feststellen: «Könnte besser sein. Entspricht nicht den Anforderungen.»

Ich hatte keine Kopie von meiner Erzählung gemacht und konnte sie nicht noch einmal lesen. Was hatte ich getan?

Noch vor dem Wochenende erhielt ich im Grand Hotel einen langen, dicken Umschlag, der meine Erzählung und die beiden Gedichte enthielt. Mr Brasch merkte an, die Arbeit sei interessant, jedoch seien die Gedichte nicht ganz geeignet, wohingegen die Erzählung «Ginster und Menschen sind zweierlei» «zu schmerzlich für eine Veröffentlichung» sei.

Als ich den Brief auf dem offiziellen Briefpapier von Landfall gelesen hatte, wurde mir allmählich klar, wie viel Hoffnung ich in meine Beiträge für Landfall und ihre Annahme zur Veröffentlichung gesetzt hatte. Ich schien mein ganzes Leben und meine ganze Zukunft mit in diesen Umschlag gesteckt zu haben. Ich spürte, wie ich in bodenlose Verzweiflung versank. Was blieb mir denn, wenn ich nicht schreiben konnte? Das Schreiben sollte doch meine Rettung sein. Ich hatte das Gefühl, als lösten sich meine Hände vom Rand des Rettungsbootes, an den sie sich geklammert hatten. Mein Kummer wurde jedoch dadurch gelindert, dass zumindest der Listener meine Gedichte und Erzählungen abgedruckt hatte. Ich vernichtete meine Erzählung und die beiden Gedichte. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich während meiner Jahre in der Anstalt, als ich mich an mein Exemplar von Shakespeares Dramen geklammert, es unter Strohmatratzen versteckt und es mir, nachdem es mir weggenommen worden war, durch List zurückerobert hatte, aber gar nicht oft darin las, nur die hauchdünnen Seiten umblätterte, die mir irgendwie die Bedeutung der Wörter vermittelten – dass ich damals den Geist des Sturms in mich aufgenommen hatte. Selbst Prospero in seiner Zelle voller Bücher hatte echten Schiffbruch und den Schiffbruch seines Ichs erlitten; seine Insel war unerreichbar, außer durch den Sturm hindurch.

In diesem Jahr wurde ich offiziell für «geistig gesund» erklärt, und in einem Ausbruch von Freiheit, der auf die Wiedergewinnung meiner geistigen Gesundheit folgte, nahm ich die Einladung an, bei meiner Schwester und ihrem Mann in Northcote, Auckland, zu wohnen.



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