Ein Abend bei Claire by Gasdanow Gaito
Autor:Gasdanow, Gaito [Gasdanow, Gaito]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-17T04:00:00+00:00
»Du blickst sehr missmutig drein, Witali.«
»Was tun ? Ich bin ein alter Pessimist, Kolja. Du willst, höre ich, zur Armee ?«
»Ja.«
»Du machst eine Dummheit.«
»Warum ?«
Ich dachte, er würde wieder »diese Idioten« sagen. Doch das sagte er nicht. Er senkte nur den Kopf und meinte:
»Weil die Freiwilligen den Krieg verlieren werden.«
Der Gedanke, ob die Freiwilligen-Armee den Krieg verlieren oder gewinnen würde, interessierte mich nicht sonderlich. Ich wollte wissen, was das ist, Krieg, es war dies immer noch derselbe Drang nach dem Neuen und Unbekannten. Ich meldete mich zur Weißen Armee, weil ich mich auf ihrem Gebiet befand und weil das so üblich war; wenn Kislowodsk zu jener Zeit von roten Truppen besetzt gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich zur Roten Armee gemeldet. Mich wunderte aber, dass Witali, der alte Offizier, es derart missbilligte. Ich begriff damals noch nicht, dass Witali viel zu klug dafür war und seinem Offiziersrang überhaupt nicht die Bedeutung beimaß, die ihm gewöhnlich beigemessen wurde. Trotzdem fragte ich ihn, warum er so denke. Er warf mir einen gleichgültigen Blick zu und sagte, dass sie, also diejenigen, in deren Händen das Oberkommando der Antiregierungstruppen lag, von den Gesetzen der sozialen Beziehungen nichts verstünden. »Dort, bei den anderen«, sagte er und wurde lebhaft, »dort ist das ganze hungrige Nordrussland. Dort, Kolja, zieht der Bauer mit. Weißt du denn, dass Russland ein Bauernland ist, oder haben sie dir das in deiner Geschichte nicht beigebracht ?« – »Das weiß ich«, antwortete ich. Darauf fuhr Witali fort: »Russland«, sagte er, »kommt gerade ins bäuerliche Zeitalter seiner Geschichte, die Kraft liegt beim Bauern, und der Bauer dient in der Roten Armee.« Bei den Weißen gebe es, nach Witalis verächtlicher Bemerkung, nicht einmal eine Kriegsromantik, die anziehend erscheinen könnte; die Weiße Armee sei eine Armee von Kleinbürgern und Halbgebildeten. »Darin dienen Kokainsüchtige, Irre und Kavallerieoffiziere, die affektiert sind wie Kokotten«, äußerte Witali schroff, »erfolglose Karrieristen und Feldwebel im Generalsrang.«
»Du schimpfst immer auf alles«, bemerkte ich. »Alexandra Pawlowna sagt, das sei deine profession de foi23«.
»Alexandra Pawlowna, Alexandra Pawlowna«, stieß Witali hervor, mit einemmal gereizt. »Profession de foi. Was für ein dummes Zeug ! Seit fünfundzwanzig Jahren höre ich, von allen Seiten und fast täglich, diesen unsinnigen Einwand: Du schimpfst auf alles. Also wirklich, mache ich mir Gedanken oder mache ich mir keine ? Ich lege dir die Gründe auseinander, weshalb der Krieg zwangsläufig so ausgehen wird, und du gibst mir zur Antwort: Du schimpfst auf alles. Was bist du, ein Mann oder Tantchen Schenja ? Ich werfe Alexandra Pawlowna vor, dass sie ewig irgend so eine Lappo-Nagrodskaja liest, und sie sagt mir ebenfalls, ich würde wie üblich auf alles schimpfen. Nein, nicht auf alles. Die Literatur kenne ich, Gott sei Dank, besser und liebe sie mehr, als meine Frau das tut. Wenn ich etwas schelte, so habe ich dafür meine Gründe. Begreif doch«, sagte Witali und hob den Kopf, »von allem, was auf jeglichem Gebiet unternommen wird, sei das nun eine Reform, die Neuordnung der Armee oder der Versuch, neue Methoden im Bildungswesen einzuführen, oder auch die Malerei, die Literatur – neun Zehntel davon taugen überhaupt nichts.
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