Eigentlich ist gar nichts passiert by Norma Mazer

Eigentlich ist gar nichts passiert by Norma Mazer

Autor:Norma Mazer [Mazer, Norma]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carlsen Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00


17

Valerie presst sich an eine dunkle Wand, als sie auf sie zumarschiert kommen: eine Reihe riesiger Fische, die in einem bedrohlichen Goldgrün glitzern und auf ihren Schwänzen bösartig zu ihr vorrücken. Ihre Leiber sind in drei voneinander abgegrenzte Bereiche unterteilt und im Näherkommen biegen sich bei allen Fischen die einzelnen Teile und klirren. Ihr Gestank ist unerträglich.

Keuchend wacht sie auf.

Sie setzt sich im Bett hoch, lässt sich dann wieder in die Kissen fallen und sieht sich in ihrem Zimmer um – hält sich vor, dass es sich wirklich um ihr Zimmer handelt, dass sie hier ist, in Sicherheit. Und obwohl es noch nicht hell ist und ihr die Augen wehtun, sagt sie sich energisch, dass sie aufstehen wird. Sie wird duschen und sich anziehen und ihrem Vater Kaffee kochen.

Sie wird etwas unternehmen. Sie wird nicht zulassen, dass sie versinkt.

Aber sie rührt sich nicht.

Ein kleiner, kühler Lufthauch streicht über sie hinweg. Ihr Vater dreht abends immer den Thermostat runter. Er sagt, es ist eine Verschwendung, ein Haus voll schlafender, warm zugedeckter Menschen zu heizen. Er bemüht sich Energie zu sparen. Er sagt: Wenn wir jetzt alles vergeuden, was bleibt dann den nächsten Generationen?

Bis zum heutigen Tag hat sie geglaubt – weil er das glaubt –, dass die Welt gut ist, dass sie nur sie selbst sein muss und niemandem etwas tun darf, und dann wäre die Welt zwar vielleicht nicht vollkommen, nicht in jedem Augenblick wunderbar, aber doch zumindest sehr, sehr gut.

Wenn sie schon nicht aufsteht, sollte sie versuchen zu schlafen. Sie sollte aufhören zu grübeln. In der Nacht hat sie stundenlang wach gelegen. Wie ein durchgedrehter Fernseher ließ ihr Gehirn ein Bild nach dem anderen vor ihren Augen flimmern. Es gab Momente, in denen sie keine Luft mehr bekam. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sie rang in zittrigen, verzweifelten Atemzügen nach Luft.

Und jetzt passiert ihr das wieder.

Ist das eine Panikattacke?

STOPP! Wie ein rotes Schild taucht dieses Wort in ihrem Kopf auf. Sie schlingt fest die Arme um ihren Körper, hält sich selbst, damit sie zumindest den Anschein einer gefassten Haltung erweckt.

Sie hat ihrem Vater noch nicht erzählt, was vorgefallen ist. Wird sie es ihm sagen? Sie möchte es gern, aber was würde das bringen? Was würde es ändern? Ist sie nicht stark genug es für sich zu behalten? Warum sollte er seine Illusionen verlieren und Kummer erleiden, weil ihr etwas Hässliches widerfahren ist?

Wahrscheinlich würde er es nicht einmal verstehen. Er würde fragen: »Also, warum haben sie das denn getan?« Für ihn gibt es für alles einen vernünftigen Grund. Er glaubt, dass die Welt ein heller, ein ganz besonderer Ort ist. Er glaubt, dass die Menschen gut sind. Wenn sie sich das jetzt vorstellt, kommt es ihr unbegreiflich vor. In all den Jahren, die er gelebt hat, ist er noch nicht dahinter gekommen, wie sehr er sich irrt! Das ist erstaunlich. Es ist zum Heulen.

Sie legt sich die Hand über die Augen. Keine Tränen. Das lässt sie nicht zu. Sie wagt es nicht. Wenn sie sich gehen lässt, muss sie



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