Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) by Frank Schirrmacher
Autor:Frank Schirrmacher [Schirrmacher, Frank]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2013-02-17T23:00:00+00:00
20 Abstimmung
In der »Götterdämmerung der Souveränität«
geben Mächte den Menschen die Macht zurück
Es ist das vorläufig letzte Update des Informationskapitalismus im Zeichen der Maschine: Das Gehirn, der Markt und der Staat – sie alle werden zu Computern, und sie alle haben die gleiche Software. All das hat für die Gesellschaft eine enorme Plausibilität, weil fast jeder bereits im Inneren der Maschine lebt. Wie die Uhrwerksautomaten Friedrichs des Großen glauben wir das Räderwerk zu kennen, das die Welt antreibt.
Allerdings ist es nicht mehr die Maschine des großen Aufbruchs in den Neunzigerjahren mit ihren digitalen Utopien grenzenloser Kommunikation, Transparenz und freundlichen, immer intelligenter werdenden Schwärmen. Ohne Zweifel ist die Vorstellung einer Wissensökonomie, in der Menschen durch Kooperation und Altruismus voneinander auch ohne Preisetikett profitieren, immer noch als Hoffnung lebendig; dieser Menschentyp wird aber schon aus Gründen der »technischen« Unmöglichkeit nicht programmiert. Und ob man annimmt, dass Menschen von reinem Selbstinteresse getrieben sind, oder ob man eine gesamte Population so programmiert, dass sie es sind, ist ein Unterschied.
Der automatisierte Markt analysiert Präferenzen, und ob es bei der Wahl des Konsumenten um Bücher oder um Regierungen geht, ist für diesen Markt nur ein Preisunterschied. Die argumentative Taktik ist dabei immer die gleiche: Der Informationskapitalismus schleust das Erbgut des synthetischen homo oeconomicus in alle nur denkbaren Systeme ein – vom einzelnen Menschen bis hin zu globalen Ökonomien – und gerät immer mehr in Gefahr, endemisch selbsterfüllende Prophezeiungen zu produzieren.
Schadenfroh hatte Walter Wriston, Chef der Citybank und der mächtigste Banker seiner Zeit, im Jahre 1992 die »Götterdämmerung der Souveränität« verkündet, eine Welt, in der der Staat vor dem Wissen der Märkte und der Rationalität des homo oeconomicus kapitulieren wird. Er prognostizierte, was die Investmentbanker von »William Blair« 2012 als Faktum feststellten. Staaten spielen nur noch »Souveränitätsspiele«. »Märkte«, schrieb Wriston, »sind Wahlcomputer; sie sind ein permanentes Referendum.«177
Geschrieben wohlgemerkt vor der Morgendämmerung des kommerzialisierten Internets, zu einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal der Begriff »World Wide Web« existierte, pries Wriston den Markt mit den gleichen Worten, mit denen heute Internet Inc. gepriesen wird: Die »Informationen«, die Märkte produzieren, sind eine »unablässige Stimmenauszählung darüber, was die Welt von der diplomatischen, fiskalischen und monetären Politik eines Staates hält«. Mit anderen Worten: Es sind die Märkte, »die den Menschen die Macht zurückgeben«.178
Der Markt als Sinnbild demokratischer Partizipation war die Uridee der Väter von Nummer 2, von Ökonomen wie Kenneth Arrow oder Milton Friedman. Daraus folgte nun konsequent: Der Staat wird selbst ein Markt sein, oder er wird gar nicht mehr sein.
Man darf sich – worauf Bobbitt mit Nachdruck hinweist – eine marktkonforme Politik des Informationsstaates nicht wie das Laissez-faire von Ronald Reagan oder Margaret Thatcher vorstellen. Solche Assoziationen waren immer schon eine Verharmlosung. Was Nummer 2 wirklich will, würde so manchem Anhänger der reinen neoliberalen Lehre den Angstschweiß auf die Stirn treiben. »Der Markt-Staat ist klassenlos, ihn interessieren nicht Rasse, Herkunft oder Geschlecht, aber ihm sind auch Werte wie Respekt, Selbstaufopferung, Loyalität oder Familie gleichgültig.«179
Wahlen sind dann gewissermaßen Volksversammlungen für das abstrakte Große und Ganze. Der Konsumentenwille äußert sich durch kollektive Kommunikation im Internet und in Medien sowie durch die »Märkte« selbst.
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