Dunkler Sommer by James Lee Burke

Dunkler Sommer by James Lee Burke

Autor:James Lee Burke
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag


Kapitel 20

Am nächsten Abend fuhr mein Vater in die Heights, um sich bei Mr. Epstein vorzustellen. Mr. Epstein hatte mir gesagt, dass er kein Kommunist war, zumindest »im Moment nicht«. Ich war mir nicht sicher, was das bedeuten sollte. Für mich war der Kommunismus ein derart lächerliches System, dass eine rational denkende Person ihn weder ernst nehmen noch fürchten konnte. Gleichermaßen war ich überzeugt, dass Menschen, die sich einmal einer solch tristen Gesinnung verschrieben hatten, nicht die Fähigkeit besaßen, sich wieder vollkommen davon zu befreien.

Mein Vater bat mich nicht, ihn zu begleiten. An die politischen Meinungsverschiedenheiten zu denken, die mir in seinem Gespräch mit Mr. Epstein unvermeidlich schienen, bereitete mir Bauchschmerzen. Nach nicht mal einer Stunde war er wieder zurück und ging in sein kleines Arbeitszimmer, um an dem Buch über die Geschichte seiner Familie weiterzuarbeiten. Als ich sah, wie er den Füllfederhalter auf ein leeres Blatt Papier setzte, während in dem Aschenbecher neben seinem Unterarm eine Lucky Strike glomm, wusste ich, dass er in einer anderen Welt war – sehr wahrscheinlich inmitten der Männer mit den zerlumpten, grauen und braunen Uniformen, die in sengender Julihitze an einem Ort namens Cemetery Hill einen Hügel hinaufstürmten.

Ich zog mir einen Stuhl heran und setzte mich hinter ihn. Er schaute nicht von seiner Arbeit auf. »Alles in Ordnung?«, sagte ich irgendwann.

»Ach, hallo, Aaron«, antwortete er. »Du hast mir ja einen Schrecken eingejagt. Fast hätte ich dich für einen Yankee-Scharfschützen gehalten.«

»War Mr. Epstein zu Hause?«

»Ja, zu Hause war er schon …«

Ich wartete darauf, dass er fortfuhr. Aber er tat es nicht. »Das hört sich nicht allzu gut an«, sagte ich.

»Mr. Epstein ist ein Ideologe durch und durch. Ein linker zwar, aber trotzdem ein Ideologe.«

»Was ist ein Ideologe?«

»Jemand, der mit religiösem Eifer einer politischen Abstraktion anhängt, die sich nur Kretins ausgedacht haben können«, sagte er. »Wenn du mal auf einen triffst, nimm die Beine in die Hand, Aaron. Solche Leute fackeln die eine Hälfte des Planeten ab, um die andere zu retten, ohne zu verstehen, was sie eigentlich motiviert.«

»Was motiviert sie denn?«

»Kontrolle, Macht, Penisneid, Sehnsucht nach der Brust der Mutter, die Tatsache, dass die meisten von ihnen schon hässlich zur Welt gekommen sind … Gott allein weiß es. Zehn Leute vom Schlag eines Mr. Epstein könnten in einer Nacht ganz New York City in Flammen aufgehen lassen.«

Ich schaute auf die Manuskriptseite vor ihm, auf der die Tinte trocknete. »Arbeitest du noch an Pickett’s Charge?«

»Zum Teil, aber da gibt es noch eine andere Geschichte bei dieser Attacke, von der nicht viele Menschen wissen. Nach dem Angriff nämlich, als der Hang mit verwundeten und toten Konföderierten übersät war, kamen die Unionssoldaten aus ihrer Deckung hervor, stampften mit den Gewehrkolben auf den Boden und riefen ›Fredericksburg, Fredericksburg, Fredericksburg‹. Sie taten es, um die nun unterlegene Südstaatenarmee zu verspotten, die ihnen beim Angriff auf die Marye’s Heights eine ordentliche Abreibung verpasst hatte.«

Ich wusste nicht, was er mir damit sagen wollte, aber er kam meiner Frage zuvor. »Es gibt nichts Ruhmreiches bei alledem. Nichts Gutes kommt vom Krieg. Er bringt nur noch mehr Hass, Leid und Tote hervor.



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