Dunkle Winkel by Hans Ostwald

Dunkle Winkel by Hans Ostwald

Autor:Hans Ostwald
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bebra
veröffentlicht: 2014-01-01T05:00:00+00:00


Entlassene Strafgefangene

Gerichtsgebäude, Grunerstraße. Der eiserne Torweg an der Stadtbahn. Oben fahren die Züge hin und her auf den Viadukten. Auf der Straße ist das bunte, muntere Treiben der Großstadt mit seinem Tumult und seinem heiteren Farbenspiel. Die jungen Mädchen in sommerlich hellen Kleidern. Die Männer alle in sauberen Röcken. Und an der Ecke steht eine Händlerin mit Rosen, den ganzen Wagen bepackt mit den duftenden Blumen; ein Blühen von Rot, von den dunkelsten bis zu den lichtesten Tönen. Das quillt und schwillt, als wolle es überfluten. Überall Überfluß …

Nur unter der Stadtbahnbrücke lungern im dunklen Schatten mehrere Gestalten: dürftig, in zerknitterten Jacken und Hosen, armseligen, verwitterten Kopfbedeckungen und jämmerlichem, altem Schuhwerk. Sie haben etwas unsäglich Scheues im Blick und in der Haltung, in allen Gebärden und Bewegungen.

Und jetzt geben sie sich einen inneren Ruck, gehen durch den eisernen Torweg und die Einfahrt zwischen Stadtbahn und Gerichtsgebäude entlang. In den ersten Eingang rechts biegen sie ein – hinein in den Arbeitsnachweis zur Besserung der Strafgefangenen.

Nach und nach tauchen aus dem heiteren Gewühl der Großstadt immer wieder solche scheuen, zerknitterten Menschen auf. Einzelne sind noch in guter Kleidung, Arbeiterkleidung. Aber abgetragen, schäbig ist ihr Äußeres fast stets. Und irgend ein wirrer, irrer Zug im Gesicht, irgend eine Spur von Verwahrlosung, etwa ungeschnittene, wuchernde Bärte, unrasierte Gesichter, zu lang gewachsene Haupthaare künden selbst dem, der an dem schlecht sitzenden, abgenutzten Zeug nicht ihr Elend erkannt hat, daß sie abseits stehen von Arbeit und Genuß, Ordnung und liebevoller Pflege.

Auf dem weißgetünchten Flur stehen sie in Gruppen und einzeln. Manche lehnen sich müde an die Wand. Hinten geht es rechts herum in den Warteraum. Da schläft einer im Stehen in der Ecke. Ein großer, knochiger Kerl mit derben Händen. Er fährt aus dem Schlaf, taumelt erschreckt ein paar Schritte vorwärts:

»Ach, geben Sie mir doch Arbeit! Ick will ja bloß Arbeit! Ich will ja bloß arbeiten!«

Dann steht er stramm, mit herabgerissener Mütze vor dem Assessor, der hier eine leitende, freiwillige Stellung hat.

»Gehen Sie hinein – fragen Sie!«

»Ich soll ja hier warten. Entschuldigen Sie – !«

»Na, dann warten Sie –!«

Scheu drückt sich der Mann in den Kreis, der die Tür umdrängt, die zum Bureau führt. Eng stehen sie beieinander, dicht vor dem Eingang. Einer nach dem anderen werden sie hineingerufen.

Da steht gerade einer vor den Tischen. Ein braungebrannter, ziemlich großer Mensch in einem sonderbar zusammengesuchten Anzug: gelbbraunen Arbeitshosen, schwarzer Frackweste und schwarzem Gesellschaftsrock; aus dem weiten Ausschnitt der Weste aber schaut ein buntes Flanellhemd. Ein steifer, runder Hut und ausgetretene Zugstiefel, deren Bänder unter der zu kurzen Hose hervorlugen, vervollständigen die Seltsamkeit seines Anzuges. Der struppige Bart, das zu lang gewordene Kopfhaar, der scheue Blick der dunklen Augen, die Verschwommenheit der Gesichtszüge zeigen den schnapsliebenden Landstreicher.

»Haben Sie noch Fahrgeld?« fragt der Sekretär, ein untersetzter Mann.

»Nee.«

»Na, Sie waren doch im Arbeitshaus! Da haben Sie doch Geld bei der Entlassung bekommen!«

Der Mann fingert mit beiden Händen an der Krempe seines Hutes und antwortet nicht.

»Wann sind Sie denn entlassen?«

»Vor vierzehn Tagen!« erwidert der Schreiber, der die Personalien aufgenommen.

»Naja, da haben



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