Duniyas Gaben: Roman by Nuruddin Farah
Autor:Nuruddin Farah [Farah, Nuruddin]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783518412862
Google: RSJJAAAACAAJ
Amazon: 3518412868
Herausgeber: Suhrkamp Verlag KG
veröffentlicht: 2001-10-14T22:00:00+00:00
Als wäre er ein Wasserloch und alle anderen durstige Tiere, die hergekommen waren, um von ihm zu trinken, setzten sich alle um Qaasim. Nur Nasiiba und Duniya machten es nicht so, und sie wußten, warum. Yarey fragte in ihrer rastlosen Verfassung, als sie auf seinen Knien saß, immer wieder: »Aber warum?« Yarey blickte von Nasiiba, welche die erste gewesen war, die ihn lebend aufgefunden hatte, zu Onkel Qaasim, welcher der erste gewesen war, der ihn tot gesehen hatte. Duniya traute es Qaasim in einem traurigen Augenblick sogar zu, »den kleinen Teufel, der soviel Zwietracht geschaffen hat«, erstickt zu haben.
Der Tod des Findlings traf Duniya tief. Sie konnte sich an nichts erinnern, was sie je so tief berührt hatte wie dieser Tod. Sie konnte auch nicht so gleichmütig darüber hinweggehen wie Taariq, der das somalische Sprichwort zitiert hatte, das besagt, der Tod betrübt dich weniger, wenn er ein von deinem weit entferntes Haus heimsucht oder einen Kamelhirten, den du nicht kennst. Sie fragte sich, was aus Bosaaso und ihrem eigenen Mythengebäude werden sollte.
Bosaaso war der erste, der sich aus dem Kreis der um Qaasims Wasserloch Sitzenden erhob. In seiner Aufgewühltheit spulte ihm seine Erinnerung Szenen von zwei anderen Todesfällen ab, den seiner Frau und den seines Sohnes. Er stand da, wippte auf den Absätzen und sagte: »Jetzt müssen wir an seine Beerdigung und die damit zusammenhängenden Amtsvorgänge denken.«
Einen Augenblick lang haßte ihn Duniya. Wie konnte ein so empfindsamer Mann gleichzeitig so nüchtern sein? Sie fragte sich, ob ihm schon jemand etwas von ihrer Kündigung mitgeteilt hatte. Und was würde er wohl sagen, wenn er die Gelegenheit hatte, darüber zu reden? Taariq dagegen hatte Tränenflecken auf den Wangen und suchte unbeholfen nach einem sauberen Taschentuch, brachte aber mit jedem Griff in seine Hosentaschen immer nur ein sehr zerknülltes zum Vorschein, das ausgetrocknet war und Löcher und Schleimklumpen von früheren Benutzungen aufwies.
»Ich schätze, wir müssen die Leiche des Säuglings zu einer Obduktion ins Leichenschauhaus bringen«, fuhr Bosaaso fort, »um herauszufinden, warum er starb, und dann sechs Kopien des Totenscheins der Polizeiwache aushändigen, wo wir ihn zuerst haben eintragen lassen.« Die alte Frau war die einzige Person, die ins Frauenzimmer ging, wo die Leiche war, um die Totenwache zu halten und einige Koranverse aufzusagen. Sie machte das Fenster zur Straße zu und bedeckte den toten Körper mit einem Laken aus Duniyas Schrank.
Duniya fragte sich, was aus Bosaaso und ihr werden würde. Würde etwas so Irrationales wie der Tod des Findlings die Symmetrie zerstören, die sie zusammen geschaffen hatten?
Bei der Totenwache für den Findling wurden Anekdoten vom Tod und Schöpfungsmythen erzählt. Anwesend waren einige Freunde, darunter auch Mire, und alle unmittelbaren Familienangehörigen von Duniya. Mire erzählte die erste Anekdote.
»Ein Kind stirbt im sechsten Lebensjahr und stellt fest, daß ihm eine niedrigere Stellung zugeteilt wird als einem viel älteren Mann, der mit sechzig gestorben war. Der kleine Junge sagt zu Gott: ›Wie kommt es, Herr, daß ich eine niedrigere Stellung in der himmlischen Hierarchie bekommen habe als der graue alte Mann hier über mir, wo ich
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