Drei Lieben by Walter Grond

Drei Lieben by Walter Grond

Autor:Walter Grond
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Haymon
veröffentlicht: 2017-02-13T16:00:00+00:00


In einer Art Sprechblase, wie in einem Comic, ist das Sprichwort Das Glück am Schopf packen zu lesen. Rita, die jetzt neben mir sitzt (ich glaube, im Café de l‘Europe), zückt ihr BlackBerry und liest mir vor, das geflügelte Wort habe seinen Ursprung im kleinen, aber wichtigen Gott Kairos. Er sei der griechische Gott des richtigen Augenblicks. Laut Wikipedia sei Kairos ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen Ungenutzt-Bleiben nachteilig sein kann.

Rita liest mir das Gedicht des Poseidippos über Kairos aus dem 3. Jahrhundert vor Christus vor. Es sieht recht komisch aus, wie sie auf das kleine flache Telefon starrt und gleichzeitig Reime aus dem griechischen Altertum vorträgt.

Sag, wer bist du?

Ich bin Kairos, der Augenblick, der alles überwindet.

Warum läufst du auf Zehenspitzen?

Ich laufe unaufhörlich.

Warum hast du Flügel an den Füßen?

Ich komme plötzlich wie der Wind.

Warum hast du in der rechten Hand ein Messer?

Um den Menschen zu zeigen, nichts auf der Welt trennt so scharf wie ich.

Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?

Damit mich jeder, der mir begegnet, ergreifen kann.

Und warum hast du einen kahlen Hinterkopf?

Wenn ich einmal vorbeigeflogen bin, hält mich von hinten, so sehr er es wünscht, keiner mehr fest.

Und freut sich kindlich, dass sie das alles auf ihrem mobilen Telefon fand, amüsiert sich über den Eifer der Gutenberg-Galaxis-Verfechter, die mit dem Internet das Ende der Welt nahen sehen. Ich glaube, was Rita in ihrem BlackBerry über den Gott Kairos fand, lernte ich vor zwanzig Jahren nicht anders im Lycée Louis-le-Grand in der Rue Saint-Jacques.

In meinem Traum ging es beinahe gelehrt zu.

Inzwischen gehen Maria und Hermann die Prater­allee hinauf. Mir fällt auf, wie eng nebeneinander sie gehen, beinahe im Gleichschritt, und dass eine Armbewegung des einen eine ähnliche des anderen bewirkt, als sie nun auf das pompöse Portal des Café Haus Restaurant Rudolf Schneider zuschreiten, im großen Park, wo fein Herausgeputzte auf und ab promenieren. Die beiden nehmen im Gastgarten Platz, unter Kastanienbäumen, auf geschwungenen Stühlen. Der Ober serviert ihnen Gulasch, der Tisch, der vor ihnen steht, ist weiß und luftig.

Maria benimmt sich ungeniert. Da ist die Sache mit dem Namen, der geliehen sein muss, so einer wie Hermann heißt im Grunde nicht Hermann. Er sieht so südländisch aus. Maria fragt ihn, und Hermann schüttet sein Herz aus, über seine Kindheit, aber nur traurige Dinge. Seine Mutter eine Varieté-Tänzerin, oder Zimmermädchen, er widerspricht sich dann und wann, sein Vater unbekannt. Seine Erziehung genoss Hermann bei den Stiefeltern, die ihm auch den Namen gaben, sie machten einen Menschen aus ihm, gute Beamte in der östlichen Reichszone, Siebenbürgen, er ging dort zur Schule, lernte später in Wien das Handwerk der Buchbinderei.

Spricht Hermann von Gedichten, die er auswendig aufsagen kann, spürt Maria ein Kribbeln im Nacken, Gedichte zu lieben erscheint ihr kühn, wenig seriös, wenn ein Mann so etwas tut, ungewöhnlich, wenn nicht verdächtig. Er lehnt den Krieg ab. Marias Vater wäre entsetzt über ihn. Er ereifert sich für einen Dichter, der einst in Lemberg, in Galizien lebte, einen Anhänger der neuen Ideen, von ihm rezitiert er Teile



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