Dostojewskis Gelächter by Henscheid Eckhard
Autor:Henscheid, Eckhard [Henscheid, Eckhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-06-10T16:00:00+00:00
3. Teil
BILANZEN
In der Tat, ich muß mich selbst darüber wundern, was für eine Klatschbase ich doch geworden bin.«
Teilt der Ich-Erzähler im 3. Kapitel des kleinen Romans »Der Spieler« (1867) recht unvermittelt mit. Und fährt fort:
»Wie lächerlich! Und wie mich das doch alles anekelt!«
Es ist nicht ganz klar, auf was sich dieses Anekeln bezieht. Auf das erniedrigende Spielerleben in »Roulettenburg«. Oder auf seine von ihm selbst soeben erst entdeckte und ihn verwundernde Klatschbasenhaftigkeit. Die ihn aber vielleicht insgeheim doch mehr mit Wohlgefühl, ja mit »Wonnegefühl« (ebd.) erfüllt und mit Interesse belebt, mehr als das Glücksspiel und sogar mehr als die Leidenschaft für die schöne Polina alias Dostojewskis angeblich so maßlos geliebte, mit Heiratsanträgen umworbene Freundin Polina Suslowa, den romanlichen Star der aushäusig in »Roulettenburg« sich herumtreibenden »Unsrigen«.
Klatsch- und Tratschsucht gilt weder im bürgerlichen Leben als besonders hochstehende Leidenschaft – noch im Roman als hochwertiges Lese- bzw. Niederschreib-Motiv. Man muß ziemlich lange darüber nachdenken und in der soweit bekannten Literaturgeschichte spazierengehen, um ein brauchbares oder sogar höhersituiertes Exempel dafür zu finden, daß Klatschen/Klatschleidenschaft im thematischen Zentrum eines Romans stünde. Oder gar im Ernst als ethisch ausreichender Schreibantrieb irgendeines Chronisten ausgewiesen wäre:
Thomas Mann mit seiner »Zauberberg«-Engführung Mynheer Peeperkorn–Gerhart Hauptmann, mit seinen den Dichter-Goethenachfolger-Konkurrenten angeblich vorführenden Trinksitten? Aber hätte sich nicht Mann den Begriff des Klatsches strengst und mit Rechtsanwaltsandrohung verbeten? Der Sohn Klaus Mann also mit »Mephisto« und seinen umstrittenen Gustaf-Gründgens-Bezüglichkeiten? Nein, der Begriff Klatsch ist da, bei solchen Schlüsselromanen, kaum am Platz. Eher schon gehorchen F. J. Raddatzens Memoiren in voraussichtlich 17 Bänden dessen Gesetzen und Reizen – aber sind die wirklich vollwertige epische Dichtung?
Um die Modellähnlichkeitsrechte der Fiktivstadt »Roulettenburg« bewerben sich heute wie je Wiesbaden, Bad Homburg und Baden-Baden. (s. Hielscher, »Dostojewski in Deutschland«, S. 36) Auch dann noch, wenn man ihnen erzählt, daß Dostojewskis Roman nicht nur eine eingehende Spielerstudie (Brief an die Schwägerin Warwara D. Konstant vom 1. September 1873) vorstellt; sondern laut Dichter Dostojewski halt bloß Klatsch und schiere Klatschbasenhaftigkeit. Wie sollte man sich »da nicht mitreißen lassen« (Brief an den Bruder Michail vom 20. September) – vom Spiel wie von der vielleicht genuin zugehörigen Médisance vulgo Klatschsucht?
Ist Klatsch & Tratsch bis hin zur Sucht wirklich ein niederes literarisches Motiv und Movens? Vielleicht nicht. Klatschsucht zeigt sich zwar der Intrige und der schäbig üblen Nachrede verwandt, als praktisch beider Vorstufe – aber wer sagt eigentlich, daß Intrige eine niedere Sache, eine der Abschaffung würdige halbberufliche Tätigkeit resp. Eigenschaft sei? Der Name »Wurm« (bei Schiller) ist noch kein Beweis. Ob nicht alle Epik letztlich vom Klatsch herrührt? Ob nicht auch Ilias und Odyssee letztlich Dokumente der vorantikischen Klatschpassion, sogar der Götter, sind? Oder zumindest – sagen wir: Jane Austens sämtliche Romane?
Tratsch mit der Tendenz zur Kabale einerseits, zu nonsensigem Flachsinn andererseits: beides ist ein der Literatur gefälliger Gegenstand – und zumindest bis zu einem gewissen Scheitelpunkt der höheren Erzählpoesie durchaus kongruent, der höheren Dichtungsmetaphysik ebenbürtig. Auch wenn jenem Klatsch allzeit ein Moment Pathologisches innewohnen sollte, mehr als den beiden anderen poetologischen Grundformen, dem Lyrischen und Dramatischen. Aber konstituiert der Klatsch nicht eher selten unser herkömmlich kanonisches Bild von Roman und Epos?
Nein.
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