Doppelmord by Frank Goyke

Autor:Frank Goyke
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Hinstorff Verlag
veröffentlicht: 2015-08-15T00:00:00+00:00

Fünftes Kapitel

Donnerstag, 16. April 1857

Louise war entsetzlich aufgeregt. In der Wohnstube standen all die Reiseutensilien, die eine Frau brauchte, wenn sie sich auf einen mehr oder minder weiten Weg machte: zwei schon ein wenig verbeulte Lederkoffer, ein Reisesack und zwei Hutschachteln. Nur bis Sonntag würde Louise bei ihrer Familie in Roggenstorf bleiben.

Reuter war am Vorabend nicht zu spät und nur beschwipst nach Hause gekommen, und doch reagierte sein Wising gereizt, als er, vom Schlaf noch etwas benommen, mit dem linken Knie gegen einen der Koffer stieß und diesen zum Umstürzen brachte. »Sieh dich doch vor, Friedrich Reuter!«, rief sie. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht! Und du siehst aus … Hoffentlich habe ich nichts vergessen!« Sie richtete den Koffer auf, während er in die Küche ging und kaltes Wasser in die Waschschüssel schüttete. »Sicher habe ich etwas vergessen«, hörte er sie in der Stube sagen. »Man vergisst immer etwas. Das Wichtigste! Habe ich die Geschenke eingepackt?« Sie öffnete den Koffer. Reuter war sicher, dass sie die Gaben natürlich längst eingepackt hatte, aber er sagte nichts.

Louise gebärdete sich, als stünde ihr eine Weltreise bevor. Auf der Fahrt mit der Fahrpost nach Güstrow, die auf der Kunststraße nach Rostock auch Reuters Heimatstadt Stavenhagen passierte, würde sie schon kurz hinter der Neu-Brandenburger Stadtgrenze vom Strelitzer zum Schweriner Landesteil Mecklenburgs wechseln. Das war keine aufregende Sache, es gab keine Wachtposten und keine Zöllner, nirgends lauerten Gefahren, und die Chaussee, die man 1834 errichtet hatte, war gut ausgebaut. In Güstrow würde Louise dann die Eisenbahn nach Schwerin und Hagenow besteigen und in Kleinen würde sie aussteigen, wo sie entweder ihr Vater oder ein Roggenstorfer Bauer mit dem Fuhrwerk erwarten würde. Wenn alles gut ging, und warum sollte es das nicht, würde sie ihre lieben Anverwandten noch vor dem abendlichen Festschmaus in die Arme schließen können. Es gab nicht den geringsten Grund, nervös zu sein, ebenso wenig wie es notwendig war, für nicht einmal vier Tage seine halbe Garderobe mitzuschleppen. Aber das war nun einmal das übergroße Sicherheitsbedürfnis der Frauen, Louises Erbteil ihres Geschlechts.

Doch auch Reuter fühlte sich nicht wohl, weil er scheinbar ohne Grund schlecht geschlafen hatte und allein deswegen selbst quarrig war – am liebsten hätte er dem Koffer nach Louises Anranzer einen Tritt versetzt. Irgendeine Laus lief wieder einmal über seine Leber. Das hatte nichts mit den Ereignissen der letzten Tage zu tun, sondern allgemein mit seinen Dämonen, seinem Leiden. Solche Tage kamen und gingen. Ganz sicher bereitete sich ein Anfall vor.

Reuter erledigte rasch eine Katzenwäsche, Louise schimpfte und stampfte mit dem Fuß, weil das Mädchen noch nicht da war, das ihr beim Tragen helfen sollte. In der Kanne auf dem Küchentisch befand sich lauwarmer Kaffee, Reuter nahm einen Schluck. Er hatte keinen Appetit und nagte nur an einem Kanten Brot, weil er wusste, dass Louise ihm andernfalls eine Predigt über die Notwendigkeit des Frühstückens halten würde – dafür fand sie immer Zeit. Bevor er sich überhaupt in der Stube gezeigt hatte, hatte er bereits einen Blick auf die Manschetten geworfen

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