Diktatur 2.0 by Dobson William J

Autor:Dobson, William J. [Dobson, William J.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blessing
veröffentlicht: 2015-05-12T22:00:00+00:00

Sechs kugelsichere Westen

Am Sonntag, den 2. Dezember, traten die Venezolaner an die Urnen. Keine der beiden Seiten wusste, ob die Stimmen zu ihrem Sieg reichen würden. Und damit verlegten sich die Chávez-Anhänger sogleich aufs Bluffen.

Um die Mittagszeit erhielt Yon Goicoechea einen Anruf von einem chavistischen Studentenführer. Er müsse ihn dringend sprechen, sagte er. »Wir trafen uns an einem öffentlichen Ort. Mit dabei war ein besonders hochrangiger Funktionär der Geheimpolizei«, erinnert sich Goicoechea. »Der teilte mir mit, es lägen Informationen vor, dass die Verfassungsänderung des Volksendscheids durchgekommen sei. Er bot mir alle notwendigen Mittel an – was das auch immer hieß –, um Blutvergießen in Venezuela zu vermeiden. Das hieß natürlich, dass nicht demonstriert werden sollte.« Nachdem das Regime Goicoechea mit dem Schicksal seines Vaters unter Druck gesetzt hatte, setzte es jetzt auf Beschwichtigung. Goicoechea müsse einfach die anderen Studentenführer davon überzeugen, sich mit dem Ergebnis der Abstimmung ohne Proteste abzufinden.

Goicoechea war klar, dass das Regime den Ausgang des Votums nicht wissen konnte. Jetzt um die Mittagszeit waren die Wahllokale ja noch geöffnet. Aber bluffen konnte er auch. Er erzählte dem Funktionär der Geheimpolizei, er habe Informationen, dass die Studenten gewonnen hätten. »Wenn wir gewinnen, gehen wir auf die Straße und verteidigen unseren Sieg«, wiederholte er. »Und wenn Sie Blutvergießen vermeiden wollen, dann liegt das in Ihrer Verantwortung. Sie sind doch die Staatssicherheit.«

Die Studenten machten sich keinerlei Illusionen, was für einen Sieg am 2. Dezember 2007 notwendig war. Goicoechea sagte mir, dass man für einen Wahlsieg in Venezuela gleich zwei Dinge brauche: »Man muss gewinnen und die Armee hinter sich haben. Wenn eines fehlt, hat man verloren. Denn die Armee schützt einen nicht, wenn man verliert, und wenn man gewinnt und einen die Armee nicht schützt, verliert man auch.«

Das Militär musste die Ziele oder das politische Projekt der Studenten nicht unbedingt mittragen. Wichtig war nur, dass es den Preis eines Betrugsmanövers für zu hoch einschätzte. »Man muss erst mal verstehen, wie das Militär funktioniert, insbesondere in Ländern wie Venezuela«, sagt Barrios. »Wenn es im Militär noch einen Funken Institutionalismus gibt, entscheidet es sich für die möglichst gewaltfreie Lösung. Wir wollten also eine glaubwürdige Drohkulisse aufbauen und sagten: Wenn ihr das offizielle Ergebnis der Abstimmung nicht anerkennt, werdet ihr ein gewaltiges Maß an Gewalt brauchen.«

Den ganzen Tag über trafen im Hauptquartier der Studenten viele gute Nachrichten ein, aber sie hatten keine Ahnung, ob sie gewinnen würden. Auch im besten Fall sahen sie ihren Vorsprung innerhalb der Fehlermarge liegen, trotzdem verbreiteten sie Zuversicht. Um 19 Uhr gab Goicoechea eine Pressekonferenz. Bis über beide Ohren strahlend, gratulierte er den Studenten und den Unterstützern für ihre Arbeit. Jetzt müsse nur noch das Ergebnis verteidigt werden. Unterschwellig lautete die klare Botschaft, dass sie gesiegt hätten und das Ergebnis nur noch offiziell verkündet werden müsse. In Wahrheit war der großspurige Auftritt reines Theater. Er hatte keine Ahnung, ob die Neinstimmen tatsächlich vorn lagen oder nicht.14

Bis Mitternacht hatte die Nationale Wahlkommission noch immer kein Endergebnis verkündet. Bei den Studentenführern lagen die Nerven blank. Goicoechea redete mit Bekannten beim

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