Die spinnen, die Finnen by Dieter Hermann Schmitz

Die spinnen, die Finnen by Dieter Hermann Schmitz

Autor:Dieter Hermann Schmitz
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Belletristik
ISBN: 9783548920412
Herausgeber: Ullstein Taschenbuch
veröffentlicht: 2011-04-01T22:00:00+00:00


Wer ist dieser Mann?

Draußen ist es inzwischen längst stockdunkel. Wir fahren durch raue See und haben starken Seegang, jedenfalls schwankt alles hin und her.

Als die Stelzen und Pieper einmal ausgeflogen sind, taucht auf einmal der Ziegenbart aus der Wartehalle wieder neben mir auf und beginnt ein Gespräch, als wäre er nie grußlos davongezogen, sondern hätte mir eben erst eine Dose Bier gereicht: »Eine gute Band, nicht wahr?« Sein glasiger Blick verrät mir, dass er mindestens zwei Paletten Bier intus haben dürfte.

Es ist schon interessant (nein: hochspannend), zu sehen, was der Alkoholgehalt im Blut mit einem Menschen macht. Ich kann immer besser tanzen, während mein Kumpel mit dem Ziegenbart traurig und deprimiert wird.

»Weißt du, warum ich keinen Kontakt mehr zu meiner Schwester habe?«

»Zu welcher Schwester?«

»Na, meine Schwester aus Frankfurt am Mainz.«

»Nein, keine Ahnung.«

»Weil ich mich bei ihrer Hochzeit danebenbenommen habe. Ich war sturzbetrunken.« Er habe bei der Hochzeitsfeier Streit mit dem Pfarrer angefangen, Gäste angepöbelt, Frauen belästigt, Teller umgestoßen, aus der Bowlenschüssel gesoffen und sich hinterher vor der Tür mit einem Trauzeugen geprügelt. »Dabei war ich nur eifersüchtig«, entschuldigt er seine Sünden.

»Eifersüchtig?«

»Ja, auf meine Schwester. Weil sie geheiratet hat. Meine Frau hatte mich kurz vorher sitzenlassen.«

Und dann erzählt er mir noch einmal, dass er eine Tochter habe, die so heiße wie dieses Schiff, Isabella. Ich weiß nicht, wie ich ihn trösten soll, aber ich wage zumindest einen Versuch: »Ich weiß nicht, ob dir das weiterhilft, aber ich muss dir eines verraten.« Er horcht auf und rückt näher an mich heran, um mich bei der lauten Musik besser verstehen zu können. »Also, um ganz ehrlich zu sein: In Deutschland gibt es in Wirklichkeit nur zwei Städte mit Namen Frankfurt. Frankfurt am Main, nicht Mainz, denn Mainz ist eine Stadt, und Frankfurt an der Oder. Hahn ist eigentlich ein Ort im Hunsrück, der nicht mal zu Frankfurt gehört. Frankfurt-Hahn heißt nur der Flughafen. Eine Stadt, die so heißt, gibt’s nicht. Sorry, es sind nur zwei Frankfurte!«

Der sitzengelassene Vater rückt auf Armlänge von mir ab und sieht mich einige Sekunden lang durchdringend an. Dann klopft er mir auf die Schulter. Vermutlich hat er gar nicht verstanden, was ich da gebrabbelt habe, aber er erkennt die gute Absicht, denn er sagt mit tiefer Stimme: »Kiitos. Kiitos rehellisyydestäsi! – Danke. Danke für deine Aufrichtigkeit!« Und hat dabei feuchte Augen. Dann geht er. Ohne Gruß, ohne Blick. Einfach so. Ich habe vollstes Verständnis für ihn.

Weit nach Mitternacht, als ich mir gerade mein Hirn zermürbe, was Bachstelze auf Finnisch heißt, steht selbige neben mir. Im vorletzten Semester habe ich mal mit Studenten einen Infotext für Ornithologen übersetzt, aber ich kann mich längst nicht mehr an alle Vogelnamen erinnern.

»Nun sag mal ehrlich, warum du hier bist!«, sagt meine Tanzpartnerin von eben und prostet mir lächelnd zu: »Kippis!«

Wir stoßen an. Kling-klong klingen unsere Longdrinkgläser aneinander, und kling-klong fällt mir ein, dass Bachstelze auf Finnisch västäräkki heißt. Ein grauenhafter Name für einen kleinen Singvogel. Wie auch immer, es ist kein Wunder, dass man in der Antike den Rausch für einen göttlichen Zustand gehalten hat, fördert er doch manchmal die unmöglichsten Dinge wieder zutage.



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