Die silberne Spieldose (German Edition) by Mina Baites

Die silberne Spieldose (German Edition) by Mina Baites

Autor:Mina Baites [Baites, Mina]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9781477824511
Herausgeber: Tinte & Feder
veröffentlicht: 2017-03-06T16:00:00+00:00


KAPITEL 20

Kapstadt, Sea Point

»Wenn ich nur etwas tun könnte«, war alles, was Lotte Blumenthal denken konnte. Nach dem langen Gespräch mit Paul und Clara hatten sich Martha und sie eine Pause im Restaurant Blue View gegönnt. An eine konzentrierte Arbeit war nach den aufwühlenden Ereignissen in Altona und Lübeck ohnehin nicht zu denken. Das Lokal lag auf einer Anhöhe oberhalb ihres Hauses. Seine Aussichtsplattform gewährte einen freien Blick auf den Tafel- und auf den Löwenberg, der Einheimische stets aufs Neue in den Bann zog, und bot den Feriengästen nach ihren Wanderungen eine willkommene Verschnaufpause. Das Lokal befand sich in direkter Nachbarschaft des koscheren Lebensmittelgeschäftes, in dem Hermann arbeitete. Nach anstrengenden Tagen kehrten Martha und Lotte gerne im Blue View ein, denn die grandiose Landschaft besänftigte ihre Gemüter und half ihnen, ihre innere Ruhe zurückzugewinnen.

Sie hatten einen Tisch in einer Nische gefunden, wo sie ungestört miteinander reden konnten.

»Ich hätte nie gedacht, dass Paul und Max so schnell aufgeben«, eröffnete Martha.

»Sie tun das Richtige«, widersprach Lotte leise. »Paul hat mir erzählt, die Zulieferfirmen dürfen keine jüdischen Geschäfte mehr bedienen. Außerdem macht ihnen der Fiskus mit den wahnwitzigen Steueranpassungsgesetzen für inländische Juden das Leben schwer. Aber das ist leider noch nicht alles.«

Marthas Blick wurde aufmerksam. »Was ist geschehen?«

»Die Sattler-Brüder haben Paul neulich bedroht, beschimpft und angespuckt.«

»Oh nein! Wir sind doch seit Ewigkeiten miteinander bekannt.«

»Ist das nicht entsetzlich?«, fuhr Lotte betreten fort. »Selbst die ältesten Weggefährten und Kunden lassen sie im Stich. Dann wurde Paul auch noch von SA-Männern verprügelt und getreten.« Sie holte tief Luft, um sich zu sammeln. »Als Clara ein paar Tage später im Altonaer Tageblatt ein Foto von ihrer Freundin Hilde Wilhelm gefunden hat, die sich gemeinsam mit ihrem Freund an der Haustür erhängt hat, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.«

Pauls Tante presste eine Hand vor den Mund. »Wie furchtbar!«

Lotte nickte. »Der junge Mann trug ein Schild um den Hals. ›Ich bin Jude und liebe eine Christin.‹ Auf ihrem Schild stand: ›Ihr trennt uns nicht!‹ Ihr Anblick war für Clara kaum zu ertragen. Daraufhin wollte sie in der Kirche beten, aber der Pfarrer hat ihr den Zutritt verweigert.«

Marthas entgeisterte Miene spiegelte ihre eigene Reaktion wider, als sie davon erfahren hatte. »Wie bitte?«, entfuhr es ihr heftig. »Ich höre wohl nicht richtig. Wenn die Kirche kein Zufluchtsort mehr ist, wozu braucht man sie überhaupt?«

»Der Pfarrer ist Mitglied der NSDAP.« Lotte wandte sich ab, um ihre aufsteigenden Tränen zu verbergen. »Es gibt keinen Ort mehr, an dem sie willkommen sind. Clara war am Boden zerstört. Sie haben vor, irgendwo aufs Land zu ziehen.« Als wollten sie das Gesagte noch unterstreichen, zogen im selben Moment dicke Wolken vor die Sonne, und Lotte zog fröstelnd ihren leichten Umhang enger um den Körper. »Wenn ich an Pauls und Claras Pläne denke – alles zunichte. Was soll jetzt werden?«

»Wir müssen auf den Ewigen vertrauen«, erwiderte Martha fest.

»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«, fragte Lotte schärfer als beabsichtigt.

Ihre Schwägerin beugte sich über den Tisch. »Liebes, ich verstehe deine Sorgen nur zu gut.



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