Die letzte Fahrt by Petra Mattfeldt

Die letzte Fahrt by Petra Mattfeldt

Autor:Petra Mattfeldt [Petra Mattfeldt]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Petra Mattfeldt
Herausgeber: Edition M
veröffentlicht: 2018-03-12T23:00:00+00:00


11. KAPITEL

2. Juni, 21.10 Uhr

Sie blinzelte mehrfach, versuchte sich zu orientieren, blickte zur Decke hinauf. Wie oft hatte sie in den Wochen und Monaten schon so dagelegen und die weiß gestrichenen Holzpaneele angestarrt? Zweiundvierzig Paneele, zwischen dem achten und neunten und dem sechsundzwanzigsten und siebenundzwanzigsten war jeweils ein etwas breiterer Spalt als zwischen den anderen. Sie versuchte sich zu erinnern. Was war geschehen? Hatte er sie wieder vergewaltigt? Sie spürte, dass sie einen Slip trug. Ein kurzer Moment der Erleichterung. Sie hörte ein Knistern, als sie sich bewegte, nur ein kurzes Geräusch, das sie nicht zuordnen konnte. Sie lauschte, drehte langsam den Kopf.

Er saß auf dem Stuhl gegenüber dem Bett, lächelte sie an.

»Da bist du ja wieder.« Er stand auf, kam zu ihr herüber. Als sie sich aufzurichten versuchte, hörte sie wieder das Knistern. Sie spürte, dass etwas auf ihrem Unterbauch klebte, griff danach.

»Fass es noch nicht an«, mahnte er. »Es ist noch ein bisschen wund. Die Folie ist nur für den Moment, damit sich nichts entzünden kann. Du kannst sie morgen schon abnehmen.« Er reichte ihr die Hand. »Komm. Steh auf und sieh dir mein kleines Kunstwerk im Spiegel an. Ich fürchte, einmal habe ich ein bisschen zu tief gestochen. Doch das wird man durch die blaue Farbe kaum sehen.«

Sie begriff noch immer nicht, was er ihr damit sagen wollte. Nur langsam konnte sie einen Zusammenhang zwischen dem Geschehen vor ihrer Bewusstlosigkeit und seinen Äußerungen herstellen. Wie in Trance nahm sie seine Hand, ließ sich von ihm hochhelfen. Dann folgte sie ihm ins Bad, in dem sich der einzige Spiegel befand, den ihre Behausung bot.

Er ließ ihre Hand los, holte den Stuhl aus dem Schlafzimmer. »Hier, stell dich hierauf. Ich helfe dir. Komm schon, sonst kannst du es nicht sehen.«

Ihr Gesicht blickte ihr bleich aus dem Spiegel entgegen. Sie schwankte. Die Wirkung der Droge ließ nur langsam nach. Trotzdem kletterte sie auf den Stuhl, besah sich im Spiegel. Sie trug nur T-Shirt und Slip. Letzterer war etwas nach unten geschoben, sodass sie sehen konnte, was er meinte: Auf ihrer rechten Seite war in Höhe des Blinddarms eine blaue Iris tätowiert. Sie war mit einer durchsichtigen Folie überklebt. Sie schüttelte den Kopf, wollte es nicht wahrhaben.

»Und? Gefällt es dir?«

Es gab keine Worte, die sie ihm hätte entgegenschleudern können, um ihre Gefühle zu beschreiben. Sie fühlte sich ebenso benutzt, als hätte er sie ein weiteres Mal vergewaltigt. Sie fühlte sich missbraucht. Er hatte ihr mit Farbe und Nadel einen Stempel aufgedrückt, einen Stempel wie beim Brandmarken von Schlachtvieh. Vorsichtig ertastete sie die Folie. Sie wollte das nicht, nichts von alledem hier.

»Was sagst du?«, forderte er erneut. »Wie findest du es?«

Sie schluckte schwer, den Blick starr auf ihr Spiegelbild gerichtet. »Mein Name ist Carla Bornkamp, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Mein Mann heißt Andreas, meine Töchter Mara und Amelie. Und ich hasse Tattoos jeder Art.« Es klang vollkommen tonlos, fast so, als lese sie diesen Text ohne jede Emotion von einem Papier ab.

Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Sie sah, wie es in ihm brodelte.



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